Gedenken an jüdische Musiker

Søren Thies

Beitragsbild: Martin Strohal

Von Martin Strohal | 11.11.2022 13:01 | Keine Kommentare

“Ein Lied geht um die Welt”, “Mein kleiner, grüner Kaktus”, “Liebling, mein Herz lässt dich grüßen” – alte Hits aus den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Auch heute noch sind sie vielen aus Filmen mit Heinz Rühmann und Hans Albers oder aus dem Repertoir der Comedian Harmonists bekannt. All diese Lieder haben eines gemeinsam: Sie wurden von jüdischen Künstlern komponiert und teils auch interpretiert. Wer waren sie? Wie erging es ihnen in Nazi-Deutschland? Musiker Søren Thies war vergangenen Mittwoch zu Gast in der Blankenlocher Michaeliskirche und erzählte von ihren Schicksalen.

Der Tag des Auftritts von Søren Thies war nicht zufällig gewählt. Am 9. November 1989 sorgte der Mauerfall für Euphorie. Doch 1938, nur 51 Jahre zuvor, zerstörten Angehörige der SA und andere nationalsozialistisch gesinnte Deutsche am gleichen Tag in der Reichspogromnacht Synagogen, jüdische Geschäfte und Arztpraxen, misshandelten und töteten jüdische Menschen in Deutschland. “Der Tag, an dem man gedenken muss, was in der Nazizeit geschehen ist”, so Pfarrer Seiter. In der Folge erhielten jüdische Künstler – so nicht bereits vorher geschehen – Berufsverbot, mussten ins Ausland fliehen oder wurden wie die Mehrheit der europäischen Juden bis 1945 umgebracht.

Vor etwa 60 Zuhörerinnen und Zuhörern sang Thies zu seinem Akkordeon bekannte und weniger bekannte Lieder jüdischer Künstler. Mal nachdenklich und melancholisch, mal fröhlich. Als Thies erzählte, dass der Komponist eines solch lustigen Liedes kurz darauf erst in die Niederlande geflohen und wenige Jahre später in Auschwitz ermordet worden war, schlug der begeisterte Applaus des Publikums in Betroffenheit um.

Søren Thies

1929 kam mit “Melodie des Herzens” der erste vollständige deutsche Tonfilm in die Kinos. Fast alle Komponisten der im Film gesungenen Lieder waren jüdischer Abstammung, Musiker wie Paul Abraham, Viktor Gertler oder Werner Richard Heymann. Keiner der großen Kassenschlager aus den Babelsberger Ufa- oder den Münchener Bavaria-Studios kam seitdem mehr ohne ihre Filmmusik aus.

Aus Heymanns Feder stammte der für Lilian Harvey geschriebene und bis heute in der Interpretation der Comedian Harmonists weltbekannte Schlager “Irgendwo auf der Welt”, Friedrich Hollaender schrieb “Eine kleine Sehnsucht” für Lale Andersen und die Lieder für Marlene Dietrich im “Blauen Engel”. Neben bekannten Filmliedern stellte Thies auch die Kabarettszene der 1920er und 30er Jahre vor, mit Vertretern wie Curt Bry und Willy Rosen. Er war es, der in die Niederlande emigrierte, und dessen Spur sich 1944 im Vernichtungslager Auschwitz verlor.

Während die großen Hits allein durch die Filmaufführungen nach 1945 bis heute bekannt sind, habe manche Komposition nur durch Zufall überlebt. Es sei für Deutschland bitter gewesen, so Thies, dass die besten und bekanntesten Schauspieler und Musiker – überwiegend jüdischen Glaubens – das Land damals verlassen mussten und zu einem nicht geringen Teil in Hollywood neue Arbeit gefunden hätten.

Søren Thies kommt aus Limburg und liebt die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts, wie er betonte. Das gut einstündige Programm “Liebling, mein Herz lässt dich grüßen…” habe er im Auftrag einer Synagoge erarbeitet. Viel Zeit habe er mit der Suche nach geeigneten Liedern verbracht, die er dann für Akkordeon neu arrangierte und einübte. Über hundertmal sei das Programm mittlerweile zur Aufführung gekommen. Thies hat sich allgemein auf französische Chansons und osteuropäisch-jüdischen Klezmer fokussiert.

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