Wie packt man 300 Jahre lokaler Stutenseer Geschichte in gut anderthalb Stunden Theaterzeit, ohne zu langweilen oder die Zuschauer zu überfordern? Man nehme ein Handvoll begeisterter Laienschauspieler, binde die hiesigen Vereine in die Produktion ein und erzähle eine zauberhafte Geschichte zwischen Traum und Realität, eine Geschichte von Liebe, harter Arbeit, Kampf und… vom Alltag. Das alles immer wieder mit hiesigem Dialekt gespickt.
Wie gut dieses Rezept aufgehen kann, bewiesen die Schauspielerinnen und Schauspieler von „Lenin in Stutensee“ am gestrigen Premierenabend. Das vor der eindrucksvollen Kulisse von Schloss Stutensee inszenierte Stück erzählt vom Strukturwandel des einst ländlichen Raumes, ohne langatmig zu werden. Zeigt behutsam existenzielle Probleme, ohne zu dramatisch zu sein oder in Kitsch abzudriften und ist immer wieder auch witzig und pointenreich.
Karoline Saal und Holger Metzner von Werkraum Karlsruhe e.V. haben ihrem Ensemble Höchstleistungen entlockt. Der junge Manuel Zacher überzeugt durchgehend in der Rolle des Karl, der Stafforter Erhard Gamer begeistert immer wieder mit seinem Dialekt, Can Fleischmann und Anette Meier als Lenin und Frau Holle sind raumfüllend, schaffen auf der Freilichtbühne den Balanceakt zwischen Witz und Ernsthaftigkeit. Die schauspielerischen Leistungen des Ensembles honorierte das Publikum mit häufigem Szenenapplaus. Ein berührendes Element sind Zitate von Zeitzeugen über den gesellschaftlichen und strukturellen Wandel der letzten 50 Jahre in Stutensee.
Das Bühnenbild ist einfach, klar und nicht überladen, alles hat seinen Platz, alles hat seinen Sinn im Rahmen der Erzählung. Echte Tabakpflanzen und -blätter, Traktoren und ein Pferd geben dem Geschehen Authentizität, traumhafte und symbolische Sequenzen werden durch Projektionen auf die Fassade des barocken Schlosses visuell unterstützt. Viel Lebendigkeit erhält das von Metzner und Saal geschriebene Stück durch die passende musikalische Untermalung von Chor und Orchester.
Unser Urteil: Unbedingt sehenswert!
Wer ein gut inszeniertes Theaterstück erleben und zudem interessante Details über die Stutenseer Geschichte erfahren will, der sollte sich „Lenin in Stutensee“ am Schloss Stutensee unbedingt anschauen. Die Gelegenheit dazu bietet sich noch bis einschließlich Dienstag, den 8. August.
Zum Inhalt
Die Geschichte ist schnell erzählt und thematisiert in Teilen wahre Begebenheiten: Der Blankenlocher Bauernsohn Karl will in den 1950er Jahren einem Mädchen aus Friedrichstal imponieren. Er studiert, um den Tabakanbau und damit die Welt zu verbessern. Doch dann geschieht in seinem Forschungsinstitut eine riesige Katastrophe und die landwirtschaftliche Existenz seiner badischen Heimat steht vor dem Aus. In einer abenteuerlichen Reise durch die Jahrhunderte versucht Karl alles ins rechte Lot zu bringen. Er erlebt den Beginn des Tabakanbaus im neu gegründeten Friedrichstal und landet schließlich in der Gegenwart von 2017, wo die Landwirtschaft in der Region so gut wie keine Rolle mehr spielt.
Als Rahmenhandlung dienen die überzeitlichen Figuren Frau Holles und Lenins. Der Revolutionsführer thematisierte einst die Stutenseer Tabakdörfer in einer seiner Schriften. Als symbolischer Vertreter des Fortschritts fordert er Frau Holle zu einer Wette heraus, die ihrerseits für den immer wiederkehrenden Zyklus der Jahreszeiten steht und „vollkommen unrevolutionär“ ist. Um die Wette zu gewinnen versuchen beide Karl auf ihre eigene Art und Weise zu beeinflussen.
Vor dem Hintergrund des Strukturwandels werden aktuelle Themen der Gegenwart angesprochen, wird die Frage nach der Zukunft von gesellschaftlichem Zusammenhalt und Landwirtschaft in Stutensee gestellt. Da kommt die „Erbfeindschaft“ der einzelnen Ortsteile, die ja erst seit gut 40 Jahren eine Stadt bilden, genauso zur Sprache, wie die Frage nach dem Verhältnis zur Obrigkeit und zu den Zugezogenen.
„Welch Bild wird man von Euch noch haben, wenn man zurückdenkt hier an unsre Zeit?“ – mit diesen nachdenklichen Worten ruft die junge Hugenottin Anna die Friedrichstaler „Wallonen“ und die Spöcker Bauern 1699 zum gemeinsamen Frieden auf. Und genau diese Worte gelten im Stück auch für das Jahr 2017, wo die Hälfte der Einwohner Stutensees ihre Wurzeln anderorts hat, wo manche Kinder scheinbar nicht mehr wissen, woher ihre Nahrung eigentlich kommt. Das Ende – soviel darf verraten werden – lässt hoffen.
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