“Naturverbrauch muss teurer werden”- von Weizsäcker in Stutensee

Ernst Ulrich von Weizsäcker

Beitragsbild: Martin Strohal

Von Martin Strohal | 11.05.2019 21:41 | Keine Kommentare

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Naturwissenschaftler und Mitglied des Club of Rome, referierte vergangenen Mittwoch in der Blankenlocher Festhalle auf Einladung des Ortsverbands von Bündnis 90/Die Grünen. Wie ist der Zustand der Welt? Ist noch was zu retten – und wenn ja, wie?

Die Festhalle war gut gefüllt, als der 79-Jährige die Bühne betrat. “Wir sind dran” lautet der Titel des aktuellen Buches des Club of Rome mit von Weizsäcker als Co-Autor. Bewusst mehrdeutig sei der Titel gewählt – “denn wenn wir etwas falsch machen, sind wir dran!” Der Club of Rome ist eine gemeinnützige Organisation, deren Ziel eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ist.

Von Weizsäcker begann mit einer Bestandsaufnahme. Vor 1950 hätten wir in einer leeren Welt gelebt, so von Weizsäcker. Mittlerweile sei die Welt voll. Zudem habe es 1990 einen historischen Bruch gegeben, den Beginn der Globalisierung. Bis dahin habe die Angst vor dem Kommunismus geherrscht. Der Staat galt als Bollwerk. Mittlerweile habe sich das umgekehrt. Der Kapitalismus habe gesiegt, der Staat laufe dem Kapitalmarkt hinterher. Es gebe eine Krise der Demokratie. “Das ist nicht die Schuld der Politiker”, betonte von Weizsäcker.

Ein großes Problem sei, dass Wirtschaftswachstum immer noch zu einer CO2-Steigerung führe. Das müsse entkoppelt werden. Auch die Finanzwirtschaft gehöre besser kontrolliert – 98 Prozent sei Spekulation. “Das muss korrigiert werden”, so von Weizsäcker. Es sei eine zivilisatorische Katastrophe, wenn immer nur schnell und billig gewönnen.

“Giraffen und Eichhörnchen gehen nicht zur Wahl”

Auf der Welt gebe es ein Ungleichgewicht. “97 Prozent der auf dem Land lebenden Wirbeltiere sind Haus- und Schlachttiere sowie Menschen”, erläuterte von Weizsäcker. Nur drei Prozent seien Wildtiere. “Giraffen und Eichhörnchen gehen aber nicht zur Wahl.”

Klimaschäden würden noch schlimme Folgen haben. Die Boom-Städte in Asien lägen fast alle am Meer. Der Anstieg des Meeresspiegels könnte zu 1 Milliarde Flüchtlingen führen – eine “politische Riesenkatastrophe”, die verdrängt werde.

Allgemein attestierte er der Menschheit, gut im Verdrängen zu sein. Unbequeme Wahrheiten wollten die Menschen nicht hören. Politiker die diese aussprächen, würden bei Wahlen abgestraft werden. “Das Volk rebelliert, wenn die Politik etwas richtig macht.”

“Es muss wirksam sein, nicht nur edel.”

Von Weizsäcker bot jedoch auch Lösungsansätze. Ob deutsche Kohlekraftwerke nun zehn Jahre länger oder kürzer liefen, sei eher ein moralisches Problem. “Es muss wirksam sein, nicht nur edel.” Für das Klima sei es viel schlimmer, dass in den Entwicklungsländern aktuell sehr viele Kohlekraftwerke in Planung oder Bau seien. Die Entwicklungsländer müssten bei Klimaverhandlungen mit im Boot sein.

Von Weizsäckers Idee: ein Budget-Ansatz. Alle Länder sollten das gleiche Recht auf Vergiftung der Atmosphäre haben. Die Industrieländer hätten dieses Recht nahezu aufgebraucht. Nun könnte Handel getrieben werden. Die Entwicklungsländer könnten ihre Rechte an die Industrieländer verkaufen, so dass sich ihr Verzicht auf Kohlekraftwerke sogar noch finanziell lohnen würde.

Ernst Ulrich von Weizsäcker mit Ludwig Streib (Ortsverbandsvorsitzender der Grünen)

Insgesamt müsse der Naturverbauch – Energie und Mineralien – teurer werden. Für das Lebensnotwendige müsse es einen Sozialtarif geben, für die Wirtschaft müsse es aufkommensneutral gestaltet werden.

Der Wissenschaftler warnte aber davor, überall den Klimanotstand auszurufen, wie es Konstanz bereits getan hat. Dann könne man mit 60 Prozent Zustimmung für die AfD rechnen.

“Der Wahrheit ins Auge blicken”

Wie ein Umsteuern denn dann möglich wäre, war eine der Publikumsfragen in der anschließenden Diskussionsrunde. “Wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken und sie aussprechen”, so von Weizsäcker. Dann müsse man in kleinen Gruppen anfangen. Er selbst war von 1998 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags, gestand aber ein, damals auch nicht alles Notwendige angeschoben zu haben.

Im diesem Sinne räumte der 79-Jährige während seines Vortrags auch einem Vertreter von “Parents for Future” eine Plattform. Dieser erklärte, alle bei der Europawahl antretenden Parteien mit den genannten Problemen konfrontiert zu haben. Die Reaktionen seien unter klimawahl-2019.eu nachzulesen. “Dieses EU-Parlament ist das letzte, das die entscheidenden Schritte einleiten kann.”

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