Anfang November titelte die Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung, die auch in der Stutensee-Woche erschien: „Bequem mit Bus und Bahn zum STUTENSEE-CENTER“. Bei uns in der Redaktion meldeten sich daraufhin mehrere Leserinnen und Leser, die sich sehr über die Darstellung wunderten und der Meinung sind, dass das Einkaufen im Blankenlocher Gewerbegebiet insbesondere für ältere und bewegungseingeschränkte Menschen nicht so einfach sei. meinstutensee.de hat einmal nachgehakt, was an den Beschwerden dran ist. Unser Redaktionsmitglied Olaf Matthei-Socha hat sich am 21. November selbst auf den Weg gemacht und sein Einkaufserlebnis für meinstutensee.de beschrieben.
Schnell noch was einkaufen…
Es ist Donnerstagvormittag. Morgen fahre ich mal wieder für zehn Tage auswärts arbeiten, meine Frau ist gerade in Brüssel, meine Mutter aus Berlin gekommen und hütet die Kinder. Eigentlich wollte ich heute noch einen mittelgroßen Einkauf in der Stadt machen, damit die Familie genug Futter übers Wochenende hat. Als ich von den Anfragen an unsere Redaktion wegen des „Stutensee-Centers“ höre, entscheide ich mich aber sofort nachzuhaken und mache mich auf den Weg ins Blankenlocher Gewerbegebiet. Mit „Bus und Bahn“.
Denn ich kann mich noch sehr gut an unsere ersten Jahre hier nach 2009 erinnern. Den Führerschein haben wir erst 2014 bei einer netten Blankenlocher Fahrschule gemacht, Treff 3000 hatte nie die Produkte, die für uns relevant waren, das Bio-Bündel gab es noch nicht und das Gewerbegebiet war einfach nicht auf unserem geistigen Plan. Einmal die Stunde ein Bus, umständliches Warten, oder zurück zur S-Bahn laufen. Machbar, aber unsere Wege waren einfach anders.
Es war also um einiges bequemer für mich, am Wochenende auf den Markt an der Kirche zu gehen, oder mich mit dem Kinderwagen in die S2 zu setzen, 20 Minuten zu warten und dann in Haltestellennähe am Europaplatz einzukaufen. Dort gleich noch in die Landesbibliothek, zu Karstadt oder was auch immer gerade so anstand. Oder mit dem Fahrrad vom Kindergarten in Hagsfeld kommend in Büchig anhalten und bei Edeka einkaufen. Klar: Wir sind zwar nicht wirklich eine repräsentative Familie gewesen, dafür aber gerade die Zielgruppe des Slogans „bequem mit den Öffis unterwegs“. Auch heute vermeiden wir Wege mit dem Auto, wo es nur geht, nutzen es hauptsächlich für Überlandfahrten.
Der Selbstversuch startet
Jetzt ist es 11.20 Uhr. Im Internet habe ich mir die Verbindungen rausgesucht. Auf den ersten Blick… hat sich eigentlich nichts verändert?! Tagsüber verkehrt in der Zeit von 8.30 bis 15.30 Uhr nur einmal die Stunde ein Bus der Linie 195 zwischen Blankenloch und Leopoldshafen, der letzte vom Kreisel um 20.25 Uhr zurück. Am Wochenende fährt gar nichts… Moment… gab es hier nicht früher Busse, oder irre ich mich? Ganz allgemein schränkt das meine Auswahl schon am Anfang erheblich ein. Weil ich noch einiges zu arbeiten habe, entscheide ich mich für den Bus ab 11.41 Uhr vom Blankenlocher Bahnhof. Wir sind vor fünf Jahren umgezogen. Das ist jetzt näher als die S2 mit dem Umstieg in Blankenloch-Nord.
Ich habe es gut: Für den Weg brauche ich vier Minuten zu Fuß. Ich muss nicht etwa zur Haltestelle Blankenloch-Süd gelangen, dort auf die S-Bahn warten und dann beim Umsteigen Blankenloch-Nord nochmal warten. Zwischen 12 und 15 Uhr bräuchte ich allein dafür knapp eine halbe Stunde. Ohne Fußweg. Und: ich bin gut zu Fuß! Zwar habe ich seit meiner Jugend kaputte Bandscheiben, mit dem Schleppen ist’s also nicht so prickelnd. Aber laufen geht noch prächtig. Wenn ich da an meinen Vater denke, dessen Hüftknochen praktisch weg ist… Oder meine Mutter, die jahrelang ein schlimmes Knieleiden hatte… Das sieht dann schon anders aus.
Das Einkaufserlebnis
Die Regionalbahn kommt gerade an, keine Handvoll Menschen wartet mit mir auf den Bus. Ich steige um 11.42 Uhr ein und weil zwischendrin niemand an den Haltestellen steht, dauert es wirklich keine sieben Minuten, da bin ich auch schon wieder draußen. Super! Das nenne ich gute Verbindung. Bis zu Rewe brauche ich dann exakt vier Minuten. Auf dem Weg dorthin sehe ich, dass es zwar einen kleinen Fußgängerzugang zum Lidl-Markt gibt, aber immer noch keinen Zebrastreifen auf die andere Straßenseite. Und auch der Weg zum Eingang führt von der Straße direkt auf die Parkplatzeinfahrt, wo Fußgängerinnen und Fußgänger mit so manchen SUVs konkurrieren. Mache ich doch gerne. Ältere und schwächere Menschen ziehen da schon mal den Kürzeren und auch ich kann nur durch einen freundlichen aber standhaften Blick davon überzeugen, dass die schwächeren Verkehrsteilnehmer in solchen Situationen Vorrang haben sollten.
Bei Rewe ist es ziemlich voll. Menschen zwischen geschätzt 25 und 75 Jahren. An der Frischetheke geht es zwar zügig, aber beim Bezahlen muss eine dritte Kasse aufgemacht werden, weil die Schlangen immer länger geworden sind. Da ich nicht wirklich viel brauche, bin ich schon um 12.07 Uhr wieder am Ausgang. Die nette Verkäuferin meinte, dass um die Mittagszeit immer so viel los sei und man da schon mit Wartezeiten rechnen müsse. Die Leute nutzten wohl die Arbeitspause. Also keine gute Zeit, wenn man mehr einkaufen oder in mehrere Geschäfte gehen will, denke ich bei mir.
Genau. Nächstes Geschäft. Ich muss ja noch zu dm… Auch hier nur ein paar Sachen in den Korb, noch etwas Räuchertofu für die Kinder, den lieben sie, Rasierklingen… Nach genau zwölf Minuten bin ich wieder draußen, habe mir sogar etwas Zeit gelassen und mir die verfrühten Weihnachtsartikel kurz angeschaut. Jetzt ist es 12.21 Uhr. Bis mein Bus kommt hätte ich noch genau 54 Minuten Zeit. Ist mir zu lange hin. Da ich weder an der kühlen Haltstelle im Auspuffstaub warten, noch an der Currywurst-Bude etwas essen will, entscheide ich mich also, zu Fuß zum nächsten S-Bahnhof zu gehen.
Der Rückweg
Um 12.23 Uhr bin ich am Kreisel und laufe den Fußweg Richtung Osten. Es regnet nicht, ist frisch, aber nicht zu kalt. Ich bereue es jetzt, dass wir den Hackenporsche vor einiger Zeit weggegeben haben. Den Einkauf ziehen wäre einfach viel… bequemer. Ich habe zwar nur rund acht Kilo in der Stofftasche über der Schulter hängen, aber es drückt schon unangenehm. Die Bandscheiben eben. Alles in allem benötige ich etwa 13 gemütliche Minuten, bis ich am Bahnsteig ankomme. Der Zug fährt erst in neun Minuten. Da bin ich doch schneller, wenn ich komplett zu Fuß gehe und zahle zudem auch keine Fahrkarte. Ha! Um 12.47 Uhr komme ich schwitzend an der Haustür im ersten Stockwerk an und mein Schrittzähler beglückwünscht mich zu 2,2 Kilometern und 139 angeblich verbrannten Kalorien. Na vielen Dank…
Was hat das jetzt gebracht?!
Insgesamt habe ich also eine Stunde und 19 Minuten für die gesamte Aktion gebraucht und dabei scheinbar noch etwas für meine Gesundheit getan. Die nachgewogenen acht Kilo Einkauf waren erträglich, viel mehr hätte ich in Taschen verpackt zu Fuß aber nicht wirklich mitnehmen wollen. Und nun stelle ich mir einmal vor, dass ein älterer Mensch, der nicht mehr Autofahren will oder kann, diese Strecke macht. Für den wäre das alles nicht mehr so einfach. Meine Mutter zum Beispiel. Sie hatte nie einen Führerschein und war es zwar immer gewohnt mit uns drei Kindern in Berlin zwei, drei Kilometer zum Einkaufen oder zum Arzt zu gehen. Aber das ist über dreißig Jahre her. Im Alter ist vieles dann doch nicht mehr so einfach.
Wer nicht mehr schwer tragen kann oder darf, der ist zudem gezwungen mehrmals die Woche zum Einkaufen zu fahren. Gerade wenn ich Waren in Konserven oder viel frisches Obst und Gemüse einkaufen will. Zeit ist also ein wichtiger Faktor. Die summiert sich dann nämlich. Wer auf die S-Bahn angewiesen ist, kann da in den letzten Monaten und Jahren auch immer mal eine böse Überraschung erleben. Zu oft kommen Züge zu spät oder fallen ganz aus. Dann ist der Anschluss gefährdet. Wer auf Nummer sicher gehen will und eine Bahn früher nimmt, rechnet tagsüber nochmal 20 Minuten auf die Anfahrt drauf. Im schlechtesten Falle auch auf die Rückfahrt. Also vierzig Minuten plus 30 Minuten hin, 30 Minuten zurück plus Einkaufszeit. Vom öfter mal ziemlich unerträglichen Wetter an den Haltestellen noch gar nicht gesprochen und auch nicht von längeren Supermarktbesuchen.
Da sind wir dann also schon schnell an der Drei-Stunden-Grenze, eventuell mehrmals und nur in der Arbeitswoche, weil am Wochenende kein Bus fährt. „Shopping-Erlebnis eben“ sagen die Einen. „Anstrengend“ die Anderen. Klar sagen die Einen: „Morgenstund‘ hat Gold im Mund. Wenn ich kann, dann nehme ich natürlich einen Bus vor neun Uhr!“ „Geht aber nicht immer, wegen anderen Terminen oder Gesundheit“, sagen die Anderen. Ich persönlich will gar nicht groß meckern. Es gibt weitaus Schlimmeres, als die Anfahrtsituation zum „Stutensee-Center“, uns geht es allgemein sehr gut in diesem Land. Allein die Bezeichnung „bequem“… Da bin ich mir nicht ganz sicher, ob die Zielgruppe „auf den ÖPNV angewiesene Personen“ diese Einschätzung teilen möchte.
Mein Fazit
Ich für mich gehe als passionierter ÖPNV-Nutzer doch lieber weiterhin auf den Wochenmarkt, zum Fleischer/Metzger um die Ecke, backe mein eigenes Brot und ziehe mein eigenes Gemüse groß. Ich gehe lieber die paar Schritte zum inzwischen erweiterten Feinkostladen der Aslars in der Rathausstraße oder fahre in die Stadt zum Großeinkauf. Rewe bleibt für mich die Ausnahme. Das ist meine ganz persönliche „Bequemlichkeit“. Ich will Geschäfte in Fußnähe, Geschäfte, mit lokalen und regionalen Produkten, Geschäfte, in denen mich niemand an der Kasse hetzt. Was wird da dann erst für die älteren Mitbürgerinnen und -bürger oder diejenigen, die sich keine „Fein- oder Biokost“ leisten können oder wollen, was wird denn für die wirklich „bequem“ zu erreichen sein?! Doch wohl höchstens die Edeka-Märkte in Blankenloch und Büchig… und die sind zwar gut, zählen aber auch nicht gerade zu den kostengünstigsten Angeboten.
Bereits vor knapp drei Jahren haben sich unsere Reporter Thomas Riedel und Marius Biebsch übrigens die Parksituation am Stutensee-Center angesehen. Die Parkfläche hat sich inzwischen vergrößert, ansonst hat sich nicht viel geändert:
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