Buchbesprechung: „Den Feigen tritt jeder Lump!“ von Frank Winter

Cover "Den Feigen tritt jeder Lump"

Beitragsbild: Oktober Verlag

Von Olaf Matthei-Socha | 29.09.2020 12:03 | Keine Kommentare

Prädikat: Lesenswert bei leichten Einschränkungen

Hecker… der Name war mir schon mal begegnet, lange her, die Geschichte der deutschen Teilfürstentümer im 19. Jahrhundert war irgendwie nie meine Stärke. Ich muss dazu sagen, dass ich auch nur ein „Neigschmeckter“ bin und meine Schulbildung lediglich am Rande mit Wissen über den Protagonisten von Frank Winters neuestem Roman angereichert war. Man möge mir das einerseits verzeihen, andererseits erlaubt mir diese Tatsache aber auch, dass ich das uns freundlicherweise vom Autor übersandte Rezensionsexemplar so unbelastet von Vorwissen und unvoreingenommen in die Hand nehmen konnte, gespannt war, was mich erwarten mag… und dann kam Corona, blieb das Buch erst einmal liegen… aber immer griffbereit neben der Lesecouch! Nun ist Frank Winter zum Lesebesuch in Friedrichstal und das war natürlich Anlass genug, endlich dem Rezenzionsversprechen nachzukommen.

Buchautor Frank Winter

Vorab sei klargestellt: Es handelt sich bei „Den Feigen tritt jeder Lump!“ um ein fiktionales Werk, einen Roman, wie es schon deutlich im Untertitel steht. Angesichts der in den letzten Jahren grassierenden Mode der Gleichsetzung (auto-)biographischer Literatur/Zeitzeugnisse mit der historischen Wirklichkeit à la Guido Knopp muss das hier eingangs betont werden. Die Heckerforschung ist breit aufgestellt, es gibt Dutzende Auseinandersetzungen vom Zeitschriftenaufsatz bis hin zur ausführlichen Monographie. Der Autor selbst erhebt zwar keinen expliziten Anspruch auf historische Korrektheit, gibt im Nachwort aber an, alle ihm zur Verfügung stehenden authentischen Zeitquellen und notwendige Sekundärliteratur aufmerksam studiert zu haben, dass das Buch also „auf einer soliden Datengrundlage“ entstand. Beim Lesen von Klappentext sowie Vor- und Nachwort frage ich mich also, wo genau der Schwerpunkt des Buches liegen soll, denn da schreibt Friedrich Heckers US-amerikanischer Nachfahr Lansing Hecker, dass Winters Text „den Platz Heckers in der süddeutschen Geschichte besser als jedes historische Werk“ schildere.

Zum Lektüreerlebnis: Die erste augenfällige Erkenntnis kommt bereits gleich zu Beginn des 195 Seiten starken Werkes. Der Text ist – wie sich beim Weiterlesen zeigt durchgehend – in einem sprachlichen Duktus gehalten, der wohl dem der Heckerschen Aufzeichnungen entsprechen soll. Man meint Frank Winter beim Studium der Erinnerungen und Reden des Revolutionärs fast über die Schulter schauen zu können. Diese Stärke ist Schwäche zugleich. Was auf der einen Seite augenscheinlich dem Ziel dienen soll, eine nötige Authentizität zu vermitteln, macht das Buch für das „Durchschnittspublikum“ gleich zu Beginn etwas sperrig. Müssen sich die geneigte Leserin, der geneigte Leser doch erst „eingrooven“. Nicht nur Satzstellung, auch Wortwahl und Stil dürften für unsere Zeitgenoss:innen etwas exotisch klingen. Doch wer sich für das Thema, die Hauptfigur des badischen Freiheitskämpfers interessiert und während der eigenen Schullaufbahn mit „klassischer“ deutscher Literatur in Berührung kam, wird sich schnell daran gewöhnt haben. Für alle anderen Leser*innen könnte an dieser Stelle möglicherweise bereits Schluss sein.

Cover “Den Feigen tritt jeder Lump”

Man muss Frank Winter zugutehalten, dass das erzählende Subjekt inhaltlich verständlich und chronologisch straff bei der Schilderung der geradlinigen Handlung vorgeht. Für manchen Geschmack vielleicht etwas zu straff, umspannen die 195 Seiten doch ganze 26 Jahre Lebensgeschichte und das in oftmals militärisch anmutendem Stakkato, mit vielerlei raumzeitlichen Auslassungen. Bei all der erwähnten Annäherung an die Sprache des „Originals“ liest sich das Werk aber dennoch wirklich gut und durchaus kurzweilig, mehr als ein paar Stunden braucht es nicht für die Lektüre. Die oben beschriebene sprachliche Strategie sorgt jedoch an mancher Stelle für Verwirrung: Nur allzu häufig geht der Erzählfaden verloren, nämlich immer dann, wenn mehr als zwei Personen direkt hintereinander sprechen und nicht sauber voneinander zu trennen sind. Hier sind sich die Protagonist*innen vom Sprachduktus her zu ähnlich, die nötige Personendifferenzierung und Tiefenschärfe gibt uns allein das erzählende Subjekt, das gleich dem schulischen „auktorialen“ Erzähler Einsicht in die Befindlichkeiten des gesamten Personals hat.

Über ganze Passagen flicht der Autor augenscheinlich Ausschnitte aus Originaltexten von Friedrich Hecker ein. Im Dienste der Authentizität wieder sehr sinnvoll. Andere Perspektiven, Außenansichten auf den doch sehr vielschichtigen Hecker, kommen aber nicht zu Wort. So spiegelt sich Gattin Josefine etwa immer nur reaktionsgebunden wider, kommt nie eigenständig Stellung zum Wandel ihres “Fritz” beziehend zu Worte. Das übrige Figureninventar des Buches dient somit dazu, den Revolutionär zu illustrieren, gleich einer Weltfolie, vor der er agiert, deren einzige Funktion es ist, seine für die Erzählung des Romans vorangenommene Lebenshaltung akzentuiert darstellen zu können. Hier ist die Innenschau gelungen, entsteht in Winters Text ein Nimbus, um den als beharrlich, unbeirrbar demokratisch und sozial gesinnten Hecker dargestellten Juristen und badischen Abgeordneten. Die Affirmation des Hecker-Mythos ist vollzogen. Die Tatsache, dass das Buch nicht nur die Ereignisse von 1848/49 thematisiert, sondern auch den weiteren Werdegang Heckers zum Farmer in llinois und Kommandierenden im Sezessionskrieg auf der Seite der Nordstaaten, ist ein großer Pluspunkt des Textes. Erweitert er doch die Perspektive über das begrenzte Bewusstsein Europas hinaus, erzählt – zumindest ansatzweise – die Geschichte der deutschsprachigen Revolutionsflüchtlinge und weist auf ihre Rolle für die US-amerikanische Geschichte hin. Zudem weist er gegen Ende des Buches auf Heckers Stellungnahmen zur weiteren Entwicklung im neu gegründeten Deutschen Reich hin und reiht sein kritisches Denken in den beginnenden Kampf der Linken gegen die die Übermacht gewinnenden Rechtsnationalen ein, wie er spätestens in den Straßenkämpfen und sogenannten Fememorden der 1920er und 30er Jahre kulminierte.

Fazit: Wie bereits eingangs gesagt, ist „Den Feigen tritt jeder Lump!“ ein Roman und keine fundierte geschichtswissenschaftliche Abhandlung… das sollten wir bei der Lektüre stets im Hinterkopf behalten, auch wenn der Anspruch immer ein wenig im Raume mitschwingt, wie es im oben zitierten Satz von Lansing Hecker deutlich zum Ausdruck kommt. Doch um das wirklich leisten zu können fehlen dem Roman vor allem die nötige Distanz zur Person Hecker und die wissenschaftlich exakte und möglichst wertneutrale Einordnung in einen zeithistorischen Gesamtkontext, die über Heckers Innenschau hinausgingen. Die im Vorwort angekündigte bedeutungsgeschichtliche Einordnung Heckers in die Revolutionszeit in Süddeutschland konnte ich hier nicht herauslesen. Dafür bekommen Leser*innen mit Interesse für die Geschichte Badens und der Revolutionsgeschichte der anderen deutschen Fürstentümer im 19. Jahrhundert einen – nach Eingewöhnung – gut lesbaren Einblick in die (mögliche) Gedankenwelt Friedrich Heckers und seine Lebensumstände ni den betrefflichen 26 Jahrene sowie einen groben Abriss der Ereignisse rund um die Ereignisse von 1848/49. Wer sich für die Badische Revolution und ihre Gedankenwelt interessiert – die bis heute nachwirkt – findet hier eine rasant geschriebene literarische Annäherung an das Thema und kann Winters sechsten Roman ohne Bedenken auf die Leseliste für den Herbst setzen.

Infos zum Buch:
“Den Feigen tritt jeder Lump!” von Frank Winter
Veröffentlichung: 16. Dezember 2019
Oktober Verlag, kartoniert, 200 Seiten
ISBN: 3946938507, 14,90 Euro

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