Krimiwettbewerb 1. Platz: “Kehrwoche”

Isabelle Gotschlich und Katharina Stober

Von Nadine Lahn | 13.10.2020 20:52 | Keine Kommentare

Beim Krimi-Kurzgeschichtenwettbewerb, den meinstutensee.de im Sommer durchführte, konnte Isabelle Gotschlich die Redaktion mit ihrer Geschichte “Kehrwoche” überzeugen und darf sich nun über den 1. Platz freuen!

Als Preis erhielt sie von Katharina Stober von Fachwerk – Werkstatt für Floristik Staffort eine besondere Zimmerpflanze mit passendem Gefäß – herzlichen Glückwunsch!

Viel Spaß beim Lesen:

Kehrwoche

1

Ich hatte gerade das Licht ausgeschaltet, da klingelte mein Handy. Ich schaute auf die Uhr, es war 23:30 Uhr. Ich zögerte einen kleinen Moment und dachte, dass es vielleicht wieder von selbst aufhört zu klingeln. Dann griff ich doch zum Nachttisch, auf dem mein Diensthandy lag, und nahm ab.
Es war meine Kollegin Theresa Eiseler: „Hey Ben, nicht schlafen! Auf geht’s, wir haben einen Fall! Eine riesige Explosion im Waldgebiet gleich am Rand des Industriegebiets neben dem Baggersee in Spöck. Ich schick dir die Koordinaten auf dein Handy. Bis gleich.“ Ich seufzte einmal tief, stand auf, zog mich an und schon war ich aus der Tür.

Theresa hätte mir die Koordinaten gar nicht schicken müssen. Als ich auf der Kiesäckerstraße fuhr und Richtung Industriegebiet abbog, sah ich schon von weitem die Flammen in den Nachthimmel schlagen, umhüllt von einer gewaltigen Rauchwolke. Das gesamte Industriegebiet in Spöck sowie das Waldgebiet dahinter waren abgesperrt und voller Rettungskräfte. Die Feuerwehrmänner versuchten, die letzten Brandherde zu löschen.
Ich fuhr so dicht ran, wie es ging. Beim Aussteigen stieg mir bereits der beißende Rauch in die Lunge und brannte mir in den Augen. Die Hitze war unerträglich. Ich musste husten, rieb mir die Augen und kniff sie zusammen. Es bot sich vor mir ein Anblick des Chaos und der Verwüstung.
Plötzlich schlug mir jemand auf die Schulter. Theresa stand hinter mir. „Na, hat der Kommissar es doch noch hierher geschafft? Was für eine Freude!“, sagte sie leicht sarkastisch und grinste dabei hämisch.
„Was ist hier passiert?“, fragte ich, ohne näher auf ihre Begrüßung einzugehen. „Tja, das würden hier alle gerne wissen. Es ist nur klar, dass dort hinten im Wald irgendwas in die Luft gesprengt wurde und dieses Etwas hatte einen mächtigen Bums. Die Erschütterung und die Hitze waren so stark, dass das Gebiet im Umkreis von einem Kilometer zerstört wurde. Und den Rest darüber herauszufinden, liegt jetzt, wie immer, an uns.“

2

„Das ist eine Katastrophe. Eine ganz große Katastrophe!“ Aufgebracht lief Manuel Schmidt in seinem Büro auf und ab. Neben ihm standen seine Sekretärin, Annika Wiesenkorn, und Maren Deckert vom Stadtmarketing Stutensee. Beide Frauen folgten mit ihrem Blick dem Auf und Ab des Spöcker Ortsvorstehers.

„Setzen wir uns am besten hin“, sagte ich bestimmt, um diesem ständigen Hin- und Hergehen ein Ende zu bereiten und lief gezielt auf den runden Tisch am Ende des Raumes zu. Der Ortsvorsteher Schmidt folgte mir und ließ sich schwerfällig auf den Stuhl gegenüber von mir fallen. Er vergrub gleich darauf die Hände in seinem grauen Haar. In diesem Moment sah er sehr alt aus, obwohl er erst Mitte fünfzig war und sonst immer ein frisches und jugendliches Auftreten hatte. Manuel Schmidt war bekannt als ein charismatischer und modebewusster Mann. Mit seinem kurzärmeligen Hemd, seinen Bermudas und Bootsschuhen hätten wir auch in einem Yachtclub in Miami Beach sitzen können. Dort wäre er in diesem Moment auch sicherlich lieber gewesen. Er wirkte tatsächlich schockiert über diese Explosion von letzter Nacht. Ob er nur ein guter Schauspieler war? So ganz sicher war ich mir da nicht. Ob er nicht doch etwas mit der Explosion zu tun hatte?

Frau Deckert setze sich rechts von mir, Frau Wiesenkorn blieb vorne an der Tür stehen und bot uns Kaffee an, den wir alle dankend annahmen. Als wir alle mit Kaffee versorgt waren, war es nun endlich an der Zeit, den anwesenden Herrschaften im Raum auf den Zahn zu fühlen. Ich rührte noch ein letztes Mal meinen Kaffee um und schaute dabei Herrn Schmidt durchdringend an.

„Eine Explosion in dieser Größenordnung während des Wettbewerbs, einen Tag vor der Begehung von Spöck, das ist doch kein Zufall?“, fragte ich ihn etwas provokant.

„Ich weiß es nicht, ich kann es mir nicht erklären. Ich weiß nicht, ob die Explosion im Zusammenhang mit dem Wettbewerb steht oder nicht. Aber vorstellen könnte ich es mir auf jeden Fall. Unser Stadtteil hat sehr gute Chancen zu gewinnen oder vielmehr hatte. Ist nicht Neid immer ein starkes Motiv für ein Verbrechen?“, erwartungsvoll hielt der Ortsvorsteher meinem Blick stand.

Ich nickte und wandte mich an Frau Deckert. „Nun Frau Deckert, wenn die Explosion etwas mit dem Wettbewerb zu tun haben könnte, dann erzählen Sie mir doch mal ausführlich über diesen Wettbewerb und was es damit auf sich hat.“

Frau Deckert schob mir einen Flyer über den Tisch zu, auf dem groß geschrieben stand ‘Stutenseer Kehrwochen – Zeig, wie sauber dein Stadtteil ist’. Mit dieser Aufschrift hatte ich erst vorhin vom Industriegebiet bis hierher, zum BürgerBüro, um die 20 Plakate gesehen; für eine etwa zwei Kilometer lange Wegstrecke ganz schön beachtlich. Die blonde junge Frau tippte darauf und sagte, dass nach den erfolgreichen Teilnahmen am Stadtradeln und am Tag der offenen Gärten die Idee entstanden war, einen Wettbewerb zwischen den Stadtteilen von Stutensee ins Leben zu rufen, der zeigen soll, welcher der sauberste sei.

„Wir haben gemerkt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger der Kreisstadt Stutensee sehr für die Umwelt und die Natur interessieren und auch einsetzen. Es wurden so viele Kilometer beim Stadtradeln mit dem Fahrrad zurückgelegt und somit enorm CO2 reduziert. Auch die Gärten, die jährlich präsentiert werden, zeigen die Liebe und das Engagement für die Natur und Umwelt. Wir möchten diesen Wettbewerb dazu nutzen, dass sich dieses Potenzial noch mehr entfalten kann“, erklärte die Marketingbeauftragte routiniert und zupfte dabei ab und zu an ihrem schwarzen, enganliegenden Kostüm.

„Und was sind dabei die Bewertungskriterien?“, wollte ich wissen.

Sie drehte den Flyer um, zeigte erneut auf ihn und erklärte lächelnd: „Wie Sie dem Flyer entnehmen können, werden die Kriterien „Abfallbeseitigung“, „Luftqualität“ und „Wasserqualität“ geprüft. Zu diesen drei Rubriken gibt es Unterpunkte, wie zum Beispiel die Anzahl von öffentlichen Mülleimern, Recyclingmöglichkeiten und -verhalten, Anzahl an E-Autos und Ladestationen, Verbreitung bzw. Verwendung von Photovoltaik-Anlagen oder anderen erneuerbaren Energien, autofreie Zonen und Grünflächen. Außerdem werden auch Stichproben des Grundwassers genommen, um dessen Qualität zu prüfen. All diese Punkte werden von einer Fachjury bewertet und der Stadtteil mit den besten Bewertungen erhält eine Auszeichnung. Im Zuge des Wettbewerbs haben die Stutenseer zudem die Möglichkeit, ihre eigenen Nachhaltigkeitsprojekte vorzustellen. Diese fließen ebenfalls in die Abschlussbewertung mit ein.“

„Kurzum, hier geht es also um die Reputation der Stadtteile“, stellte ich fest und Frau Deckert sowie der Ortsvorsteher nickten zustimmend.

„Daher hat bestimmt jemand aus den anderen Stadtteilen die Explosion verursacht. Irgendjemand, der ein Interesse hat, dass Spöck bei diesem Wettbewerb nicht gewinnt. An Ihrer Stelle würde ich mich einmal an die Stadtverwaltung wenden und mit den anderen Ortsvorstehern sprechen. Dort gibt es sicherlich mehr Verdächtige als hier bei uns in Spöck“, sprudelte es aus Herrn Schmidt nur so heraus.

„Naja, wenn das so ist, dann mache ich mich jetzt auf den Weg“, sagte ich unbeeindruckt. „Aber sagen Sie mir noch, wo waren Sie gestern Abend gegen 23:00 Uhr?“

„Ich war zu Hause. Meine Frau kann das bestätigen“, sagte der Ortsvorsteher etwas empört. Ich schaute zu den beiden Frauen. Beide schienen überrascht, dass ich auch sie nach ihrem Alibi fragte.

„Ich hatte ein Geschäftsessen mit der Fachjury in Karlsruhe. Das ging so bis ca. 23:45 Uhr. Die Namen der Personen und des Restaurants kann ich Ihnen aufschreiben“, sagte Frau Deckert vom Stadtmarketing trocken.
„Das wäre großartig. Besten Dank“, sagte ich und dreht mich zu Frau Wiesenkorn, der Sekretärin von Herrn Schmidt. „Und Sie?“

„Ich war bei meiner guten Freundin, Jennifer Lutz. Wir saßen auf dem Balkon, haben Wein getrunken und haben uns verquatscht bis wir diese riesige Explosion gehört und den ganzen Rauch am Himmel gesehen haben. Das war so schrecklich. Ich habe gleich zu Jennifer gesagt, dass da etwas ganz Schlimmes passiert sein müsse“, beantworte Frau Wiesenkorn die Frage und starrte in die Kaffeetasse, die sie mit beiden Händen festhielt.

3

Im Polizeipräsidium standen Theresa und ich gerade an der großen Pinnwand in unserem Büro und hefteten die bereits gesammelten Daten und Fakten über die Explosion daran, als Simone Schilling von der KTU reinkam und strahlend kundtat, dass sie etwas gefunden hätten.

„Schaut euch das mal an!“ Simone zeigte uns eine verbrannte Metalldose. „Wir haben sie gesäubert, den Ruß weggekratzt und haben diese Gravur auf der Dose entdeckt.“

Sie zeigte uns den Boden der kleinen Metalldose, in der man etwas aufbewahren konnte, wie zum Beispiel Pfefferminzpastillen oder ähnliches. Theresa und ich traten einen Schritt näher und lasen die Inschrift: MALERKAPP und daneben war ein Pinsel gezeichnet.

„Das passt auch zu den anderen Funden, die wir bisher analysiert haben. Das Gebiet rund um den Explosionsherd ist voll mit Lack- und Farbspuren und auch mit Resten von Fässern und Eimern. Dort wurde offensichtlich eine große Menge an Lacken, Farben, Chemikalien, Spachtelmasse, also Tonnen an Sondermüll entzündet. Wie es genau zur Explosion kommen konnte, untersuchen wir gerade noch“, erklärte uns unsere liebste Kriminaltechnikerin.

„Das ist ja klasse, vielen lieben Dank Simone, du bist einfach die Beste“, sagte ich und klopfte Simone auf die Schulter. Simone lächelte verlegen, rückte ihre Brille zurecht und verließ grinsend das Büro.
„Na dann auf zum MALERKAPP“, sagte Theresa und schnappte sich bereits ihre Jacke und die Autoschlüssel.

4

Wir fuhren an den Rheinhafen auf das Gelände des Maler- und Lackierer-Meisterbetriebs MALERKAPP. Dies war der größte Maler- und Lackierer-Meisterbetrieb in der Region. Er erhielt Großaufträge für viele Neubaugebiete, aber auch für Großsanierungen. MALERKAPP war in der Baubranche im nördlichen Baden bekannt wie ein bunter Hund.
Wir stiegen aus und fragten einen gehetzten Mitarbeiter nach dem Büro des Chefs. Er zeigte nur flüchtig und ohne stehen zu bleiben auf eine Außentreppe am Gebäude. Wir gingen hoch und sahen durch die Glastür ein geräumiges Büro mit zwei großen Schreibtischen, an einem eine Frau und an dem anderen einen Mann, beide Mitte vierzig, sitzend. Wir klopften an die Glastür und traten ein. Die Frau saß näher an der Tür, erhob sich von ihrem Bürostuhl und begrüßte uns mit einem müden, flüchtigen Lächeln: „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

„Ich bin Kommissar Ochs, das ist meine Kollegin Eiseler“, wir zeigten beide unsere Dienstausweise, „Und Sie sind Melanie Kappler?“, fragte ich die schick gekleidete Frau mit feuerrotem Haar.

Melanie Kappler schaute erst uns dann ihren Mann an und antwortete schließlich: „Ja, das bin ich. Warum wollen Sie das wissen?“

Ich hielt ihr die Tüte mit der Metalldose unter die Nase und fragte: „Kennen Sie diese Dose?“

Sie schaute die Dose näher an, schaute wieder zu ihrem Mann und zuckte dann mit den Schultern. Da erhob sich nun auch ihr Mann, Steffen Kappler, der Eigentümer des Maler- und Lackierer-Meisterbetriebs, vom anderen Schreibtisch und trat auf uns zu. „Hallo, ich bin Steffen Kappler. Warum wollen Sie das von meiner Frau wissen?“, fragte er neugierig.

Ich ließ die Tüte spielend durch meine Finger gleiten und erklärte dem Ehepaar, dass wir die Dose an einem Tatort gefunden hätten und uns natürlich fragen würden, wie sie dort hingekommen ist. Ob es wohl Zufall gewesen sei oder nicht.

„Und wie können meine Frau und ich Ihnen da weiterhelfen?“, wollte der Malermeister wissen. „Das ist eine Metalldose, die es überall zu kaufen gibt.“

„Ach ja, sind Sie sich da sicher?“, Theresa ergriff nun das Wort und übernahm die Befragung. „Haben Sie sich den Boden der Dose schon einmal genauer angeschaut?“

Herr Kappler nahm die Tüte in die Hand und drehte die Dose herum, sodass die Gravur direkt in seinem Blickfeld lag. Kein Zweifel, er erkannte innerhalb einer Millisekunde sein Firmenlogo.
Theresa ließ ihm keinen Spielraum zum Nachdenken, sondern packte ihre eigenen Theorien und Vermutungen aus: „Herr Kappler, Sie haben erst neulich aufgehört zu rauchen, richtig? Da greift man doch öfters als Alternative auf Bonbons zurück. Eine persönliche Bonbons-Dose, ein tolles Geburtstagsgeschenk, Frau Kappler, nicht wahr?“

Melanie Kappler machte große Augen, sagte aber nichts dazu. Auch Herr Kappler schwieg. Ich zückte meinen Notizblock und stellte die letzte Frage: „Wo waren Sie beide gestern Abend so gegen 23:00 Uhr?“

Frau Kappler schien ein Stein vom Herzen zu fallen und sagte fast fröhlich: „Wir waren auf dem Eröffnungsempfang des neuen Ikeas in Karlsruhe. Das können hunderte Leute bezeugen. Wir haben uns so gegen 24:00 Uhr ein Taxi genommen. Ich habe die Quittung noch. Warten Sie, ich bringe sie Ihnen.“

5

Der Barkeeper des Empfangs bestätigte, dass Herr und Frau Kappler von 22:00 bis ca. 24:00 Uhr mit einem befreundeten Pärchen an der Bar standen und sich unterhielten. Die beiden hatten demnach ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit, aber wir haben trotzdem einen richterlichen Beschluss für eine Hausdurchsuchung bekommen. Das Durchgehen der Unternehmensunterlagen hat zwar Zeit gekostet, aber war letzten Endes doch erfolgreich. Daher saß Herr Kappler nun mit verschränkten Armen und einem bockigen Gesichtsausdruck vor mir im Vernehmungsraum.
Ich legte ihm eine Kopie der Rechnung von den Malerarbeiten im BürgerBüro in Spöck vor.

„Ist dieser Auftrag für Ihren Malerbetrieb nicht ein bisschen klein?“, fragte ich ihn und zeigte auf den Rechnungsbetrag.

„Wir hatten ein kleines Sommerloch, da schiebe ich immer mal wieder kleinere Aufträge dazwischen“, äußerte sich der braunhaarige und muskulöse Handwerker und Geschäftsmann.

„Und da gehen Sie auch persönlich vorbei?“

„Ja, selbstverständlich. Ich gehe auf jeder meiner Baustellen persönlich vorbei. Deshalb ist mein Betrieb auch so erfolgreich.“

„Wenn Sie so erfolgreich sind, warum ist dann Ihr Geschäftskonto weit überzogen?“

Herr Kappler schnaufte einmal tief und ließ plötzlich die Schultern hängen. Er verfiel in seine eigenen Gedanken, doch plötzlich schien er ziemlich verärgert und erklärte wütend, dass ein Bauherr pleite gegangen sei und nicht bezahlt habe.

„Um Ihren doch großzügigen Lebensstandard zu halten, muss man bei so einem dicken Minus versuchen, die Kosten zu reduzieren, oder?“, fragte ich mitleidslos weiter.

„Oder man reduziert den Lebensstandard, so herum geht das auch“, erwiderte mein Gegenüber immer noch leicht säuerlich.

„Haben Sie daher auch aufgehört zu rauchen? Konnten Sie sich die Zigaretten und vor allem die Zigarren nicht mehr leisten?“ Ich hielt kurz inne, um dann weiter fortzufahren: „Im Männerclub „Zeus“ raucht man doch gerne mal Zigarren und trinkt einen Whiskey, oder täusche ich mich da? Und dabei plaudert man mit alten Freunden, so wie Sie es mit Ihrem alten Schulfreund Manuel Schmidt in letzter Zeit häufiger taten. Sie sind beide Mitglieder des Männerclubs „Zeus“ und Ihre Freunde dort haben uns bestätigt, dass Sie im letzten Jahr wieder mehr miteinander zu tun haben.“
Ich machte eine kurze Pause, um dann zum Abschluss zu kommen.
„Und passt das nicht alles wunderbar zusammen, dass Sie jeden Tag, als Sie das BürgerBüro renoviert haben, mit dem Lieferwagen nach Spöck zur Baustelle gefahren sind? Da konnten Sie doch gleich ein paar Fuhren Sondermüll mitbringen und entsorgen! Mit so einer Entsorgung kann man schon einiges an Geld sparen. Gut für Sie, aber was ist der Vorteil von Manuel Schmidt? Haben Sie ihn bestochen? Sie sollten jetzt am besten auspacken. Ihr guter alter Freund sitzt nämlich gerade mit meiner Kollegin nebenan im Vernehmungsraum und Sie haben ja meine Kollegin letztens erlebt, sie kann sehr hartnäckig sein. Ich denke, in einer Minute wird er reden und wenn er vor Ihnen redet, dann sieht es schlecht für Sie aus. Sie sollten wissen, dass zweieinhalb Jahre auf Bewährung anders sind als vier Jahre im Knast.“

6

Theresa warf einen Tennisball immer wieder gegen die Wand und fing ihn auf. „Kannst du damit aufhören? Das nervt!“, sagte ich gereizt.

„Es hilft mir aber nachzudenken und deine schlechte Laune musst du nicht an mir auslassen“, blaffte Theresa zurück.

Wir saßen nun schon den gesamten Vormittag in unserem Büro und starrten mehr oder weniger die Decke an. Wir kamen einfach nicht weiter.
Steffen Kappler und Manuel Schmidt hatten beide gestanden, dass Herr Kappler seinen Sondermüll vor einem Jahr in dem Waldgebiet hinter dem Spöcker Industriegebiet vergraben hatte. Herr Schmidt hatte Herrn Kappler auf diese Idee gebracht und sich diese Idee immer wieder mit vielseitigen Gefälligkeiten von Herrn Kappler bezahlen lassen. Doch beide stritten ab, etwas mit der Explosion zu tun zu haben.

„Wenn das Grundwasser getestet und auch Proben am Spöcker Baggersee genommen werden sollten, dann wäre doch die Gefahr groß gewesen, dass die illegale Müllentsorgung rausgekommen wäre. Dann wäre es für Spöck mit der Möglichkeit aus gewesen, als sauberster Stadtteil von Stutensee in die Geschichte einzugehen. Das ist doch das perfekte Motiv“, erläuterte Theresa.

„Ja, wir haben das Motiv“, stimmte ich ihr zu, „aber wir haben keine Beweise. Wir können Herrn Schmidt und Herrn Kappler nichts nachweisen und beide haben sie bestätigte Alibis. Wir konnten keine Hinweise finden, dass sie jemanden damit beauftragt haben. Es ist einfach zum Verzweifeln.“

Theresa fing gerade wieder an, den Tennisball gegen die Wand zu werfen, als ein Kollege reinkam und kurz sagte: „Ochs, Eiseler, eine Zeugin für euch.“

Der Kollege ließ die Tür offen und ging. Herein kam dafür eine blondgefärbte schlanke Frau, so um die 65 Jahre alt und trug einen langen beigen Mantel. „Guten Tag, mein Name ist Corinna Petzold und ich habe den Aufruf im Stutenseer Amtsblatt gelesen, dass Zeugen wegen der Explosion gesucht werden. Und ich denke, ich habe in dieser Nacht etwas gesehen oder viel mehr jemanden.“

„Ach ja? Und wen haben Sie da gesehen?“, wollte ich wissen, war aber schon davon überzeugt, dass jetzt eine skurrile Zeugenaussage kommen wird.

Aber Frau Petzold ließ sich nicht beirren und fing an zu erzählen: „Ich stand so gegen viertel vor elf auf meinem Balkon und habe noch eine Zigarette vor dem Schlafengehen geraucht. Und da sehe ich plötzlich meine Nachbarin, ganz schwarz gekleidet und mit zwei großen Kanistern, eilig das Haus verlassen. Also ich kenne meine Nachbarin schon lange und sie verlässt unter der Woche nie so spät das Haus. Auf jeden Fall sollten Sie wissen, dass Frau Lutz einen Doktor in Organischer Chemie hat. Naja und als ich den Aufruf gelesen habe und ich abends wieder auf meinem Balkon saß und eine Zigarette rauchte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Eine große Explosion um ca. 23:00 Uhr, Frau Lutz verlässt mit zwei Kanistern und schwarz gekleidet eilig um 22:45 Uhr das Haus, fährt mit dem Auto schnell davon und ist Chemikerin. Also wenn das nicht zusammenpasst, dann weiß ich auch nicht.“

Jennifer Lutz? Der Name sagte mir etwas. Ich holte meinen Notizblock raus und blätterte bis ich den Namen aufgeschrieben in meinen Notizen fand: Bingo!

7

Annika Wiesenkorn war eine schmächtige, kleine Frau mit dunklen Locken. Mit ihren großen dunklen Augen und spitzen Wangenknochen sah sie sehr hübsch aus. Trotz ihrer kleinen Statur saß sie selbstsicher im Vernehmungsraum. Ihre Freundin, Jennifer Lutz, von der wir vor knapp einer Stunde wieder zurückgekommen sind, war da etwas anders. Nach etwa zehn Minuten hatten wir sie soweit. Jennifer Lutz bestätigte zunächst die Geschichte der Sekretärin des Spöcker Ortsvorstehers, dass die beiden bis zur Explosion draußen auf dem Balkon saßen und Wein tranken. Aber als wir ihr sagten, dass es Zeugen gebe, die sie abends gesehen haben, wie sie ihr Haus verlassen hatte, wusste sie nicht mehr weiter. Am Ende saß sie weinend auf dem Sofa und stammelte nur so etwas vor sich hin, wie: „Für Anni, für die liebe, arme Anni. Und es ist ja niemand zu Schaden gekommen.“ Mehr war nicht mehr aus ihr heraus zu bekommen, aber nun wussten wir dennoch, dass Annika Wiesenkorn etwas mit der Sache zu tun hatte und wir hatten da auch schon eine Vermutung.

„Herr Kappler ist ein attraktiver Mann, stimmen Sie mir da zu?“, fragte Theresa Annika Wiesenkorn.

„Wenn Sie meinen“, erwiderte die junge Frau knapp.

„Haben Sie Herrn Kappler bei den Renovierungsarbeiten im BürgerBüro
kennengelernt?“, führte Theresa die Vernehmung fort.

„Ja“, wieder eine kurze Antwort von Frau Wiesenkorn.

Doch Theresa machte unbeirrt weiter und holte aus der Fallakte ein Stück Papier hervor. „Wissen Sie, was das ist?“

Annika Wiesenkorn schüttelte nur den Kopf.

„Das sind die Verbindungsnachweise von Herrn Kappler. Wie Sie sicherlich wissen, haben wir ihn verhaftet wegen illegaler Müllentsorgung.“
Frau Wiesenkorn zuckte bloß mit den Schultern und blickte Theresa desinteressiert ins Gesicht.

„Uns ist das vorher nicht gleich aufgefallen, aber nun, da Ihr Alibi für die Tatnacht hinfällig ist, haben wir entdeckt, dass Sie und Herr Kappler vor ca. einem Monat einmal privat über Ihre Handys miteinander telefoniert haben und dass Sie danach mehrfach versucht haben, ihn anzurufen. Aber Herr Kappler hat nie auf Ihre Anrufe reagiert“, fasste ich unsere neuesten Erkenntnisse zusammen.

„Das ist als Frau nicht leicht zu ertragen. Ich würde mir das nicht gefallen lassen“, legte Theresa nach und fragte weiter: „Hat er Sie fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel? Über Monate waren Sie gut genug für ihn, um ihn zu trösten und waren immer für ihn da, wenn er rief und er Sie brauchte. Er hat Ihnen das Blaue vom Himmel versprochen, dass er seine Frau für Sie verlassen würde, dass sie beide zusammen weggehen, viele Kinder bekommen und alt zusammen werden würden. Meine Liebe, das habe ich auch schon gehört. Und was war das Ende vom Lied? Er ist brav zurück zu seiner Ehefrau und dieser Mann meinte nur zu mir, dass müsse ich verstehen, er könne nicht anders.“

Annika Wiesenkorn sank immer mehr in sich zusammen, als ob sie jemand an ihren Schultern nach unten drücken würde. Ihr Gesichtsausdruck hatte kurz etwas trauriges und betrübtes, doch dann fasste sie sich schnell wieder, setzte sich gerade hin und legte ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen und sagte zu Theresa: „Das tut mir leid für Sie!“

„Wussten Sie, dass Melanie Kappler schwanger ist? Daher hat Herr Kappler mit dem Rauchen aufgehört und lutscht stattdessen nun Pfefferminzbonbons. Seine Frau hat ihm als Dank diese Metallbox geschenkt“, berichtete ich weiter und legte die Tüte mit der Metallbox vor Frau Wiesenkorn auf den Tisch.

Diese Metalldose schien etwas in Frau Wiesenkorn zu bewegen. Sie starrte auf die Metallbox. Theresa witterte ihre Chance und sagte energisch: „Und deshalb hat Steffen Kappler ihre Affäre beendet. Nicht Sie, sondern Frau Kappler gründet mit ihm eine Familie.“

Theresa hatte genau ins Schwarze getroffen. Plötzlich griff Annika Wiesenkorn nach der Dose und pfefferte sie knapp an meinem Kopf an die Wand hinter mir und Theresa und schrie: „Wie ich diese Dose hasse. Sie sollte ihn verraten, diese kleine miese Ratte. Wie Steffen sich das letzte halbe Jahr immer bei mir ausgeheult hat, dass alles so schwer sei wegen seinen Schulden und dass Manuel Schmidt immer mehr von ihm wegen des Mülls verlangen würde und ich solle mich doch mal um meinen Chef kümmern. Und dann auf einmal Aus die Maus, seine Frau ist schwanger und plötzlich war ich abgeschrieben. Weggeworfen wie Müll. Er hat mich quasi wie den Müll da hinten im Wald entsorgt. Aber dafür sollte er büßen. Er sollte immer an seinen Müll denken, den er da so einfach entsorgt hatte und dieser sollte dafür sorgen, dass er im Knast landet. Somit haben weder seine Frau noch ich ihn und sein Ruf als Saubermann ist dahin. Der perfekte Plan.“ „Der perfekte Plan, richtig. Und Frau Lutz hat Ihnen geholfen, die Explosion auszulösen?“, fragte ich.

„Ach die liebe Jenny. Jenny hat nichts damit zu tun“, erklärte Frau Wiesenkorn nun wieder ganz kontrolliert und ruhig. „Sie wusste nichts von meinem Plan. Ich habe sie gefragt, mit welchen normal käuflichen Mitteln man eine Explosion von Farb- und Lackresten hervorrufen könnte. Jenny war in diesem Moment so naiv, dass sie mir geglaubt hat, dass ich das aufgrund einer gesehenen Dokumentation im Fernsehen wissen wollte. Ich fragte sie, ob sie mir das einmal vorführen könnte. Und so brachte sie mir an jenem Abend zwei Kanister Nitroverdünner vorbei. Das war alles. Den Müll habe ich dann selbst in die Luft gejagt und es hat sich so gut angefühlt und ich habe mein Ziel erreicht, Steffen sitzt jetzt im Knast.“

„Also um genau zu sein, sitzt er im Moment in Untersuchungshaft und Sie werden uns jetzt ebenfalls dorthin begleiten. Wer von Ihnen die längere Strafe verbüßen wird, das wird sich dann noch zeigen“, verabschiedete Theresa Annika Wiesenkorn und stand auf, als sie mit Handschellen von einem Kollegen abgeführt wurde.

Ich schlug die Akte zu, lehnte mich zurück und streckte alle Viere von mir: „Das hätten wir geschafft. Man, wie ich Kehrwoche hasse.“

„Du alter Schwabe“, neckte mich Theresa.

„Pst, nicht so laut“, flüsterte ich und tat so, als ob ich mich besorgt umschauen würde, „nicht, dass wir es doch bald mit einem richtigen Mordfall zu tun haben.“

„Und der Titel für diesen Kriminalfall wäre dann ‘Tödliche Schwabenliebe’!“, lachte Theresa herzlich und ich stimmte mit ein.





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