Wie möchte Stutensee mit den gemeindeeigenen Wäldern umgehen? Krankheiten, Hitze und Trockenheit machen ihnen zu schaffen. Die Stadtverwaltung möchte ein Leitbild entwickeln. Im Rahmen der Podiumsdiskussion “Zukunftswerkstatt Stadtwald Stutensee” präsentierten Fachleute ihre unterschiedlichen Ansätze und stellten sich den Fragen des Publikums.
Der Stutenseer Gemeindewald – nicht zu verwechseln mit dem Hardtwald – ist mit gut 230 Hektar nicht besonders groß, bietet aber Lebensraum für seltene und geschützte Tierarten wie den Heldbock und den Hirschkäfer. Insbesondere der Klimawandel mit trockenen Jahren und Hitze, aber auch Schädlinge und Krankheiten haben ihre Spuren in den Wäldern hinterlassen. “Der Wald ist in Stutensee in erster Linie Erholungswald”, so Oberbürgermeisterin Petra Becker, die die Erhaltung und Stabilisierung als gesamtgesellschaftliche Generationenaufgabe bezeichnete.
Mit Johannes Enssle, dem Vorsitzenden des NABU-Landesverbandes Baden-Württemberg, sowie Prof. Dr. Jürgen Bauhus, Leiter der Professur für Waldbau der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg waren zwei Waldexperten am Dienstag, den 29. März, in der Festhalle zu Gast, um den etwa 60 Zuhörerinnen und Zuhörern in Impulsvorträgen ihre Sicht zum Thema Waldbewirtschaftung vorzustellen.
Was sagen die Experten?
Trotz unterschiedlicher Sichtweisen der beiden Experten, waren sie sich in einigen Punkten einig: Es sei unklar, wie sich Änderungen in der Waldbewirtschaftung über die nächsten Jahrzente auswirken würden. Es gebe keine Empfehlung für das “richtige” Vorgehen. Beispielsweise sei nicht absehbar, ob neu angepflanzte Baumarten auch irgendwann von Schädlingen befallen würden. Jederzeit könnten neue Krankheitserreger aus der ganzen Welt eingeschleppt werden, die zum Ausfall ganzer Baumarten führen könnten. Auch sei der Begriff “Waldwirtschaft” nicht treffend, “Waldökosystemmanagement” sei richtiger.
Einig waren sich die Experten auch darin, dass der Klimawandel mit extremen Wetterereignissen eine wesentliche Rolle spiele. “Wer Wald schützen will, muss das Klima schützen”, fasste Enssle zusammen und forderte Klimaneutralität in Stutensee bis zum Jahr 2030.
Enssle ging in seinem Vortrag besonders auf die Artenvielfalt ein. Für diese seien insbesondere sehr alte und dicke Bäume nötig, die in bewirtschafteten Wäldern fehlten. Die Wälder müssten nicht alle gleichförmig aussehen, sondern sollten unterschiedlich entwickelt werden, mit Licht und Schatten. Zehn Prozent Waldrefugien, in denen sich Urwaldstrukturen entwickeln, seien optimal. Er hob die alten Eichen am Schloss Stutensee hervor, die eine Heimat für den seltenen Eremiten und den Heldbock bieten. Enssles Wunsch: Keine Ideologie, sondern wissenschaftliche Argumentation. Stutensee müsse klar sein, was das Ziel ist. Ein Wald könne nicht alles zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
Damit stieß er bei Bauhus auf Zustimmung. Sein Credo: “In den meisten Fällen ist eine aktive Steuerung notwendig.” Auf natürlichem Weg würden Wälder viel zu lange für die Anpassung brauchen. Die Entwicklung des Waldes sei eine Daueraufgabe, man müsse ständig neue Optionen entwickeln. Auch sprach er sich für das Anpflanzen neuer geeigneter Baumarten aus. “Wir brauchen Mischbestände aus mindestens neun Baumarten, um den Ausfall einer Baumart aufzufangen.” In Naturwäldern hingegen würde die Anzahl der Baumarten abnehmen.
Forstdirektor Martin Moosmayer vom Forstamt des Landratsamtes, der sich mit seinem Team im Auftrag der Stadt um die Stutenseer Wälder kümmert, betonte, dass er sehr auf die Natur schaue und Bäume nur anpflanze, wo sich der Wald nicht selbst regeneriere. Stutensee habe einen “Naturschutz-Vorzeigewald”. Er verwies jedoch darauf, dass abgestorbene Bäume wieder CO2 freisetzen würden. Dem stimmten die Experten zu. “Das ist nicht die beste Strategie für Klimaschutz”, so Enssle. Nur ein sehr kleiner Anteil CO2 werde langfristig im Boden gespeichert. Auch das Verbrennen von Holz sei falsch. Holz sei viel zu kostbar zum Heizen. Optimal sei die Verwendung als Baumaterial, insbesondere als Ersatz für Stahl. Da sei das CO2 langfristig gebunden. Dem schloss sich Bauhus an: “Holz muss viel länger dem Kreislauf entzogen werden.”
Reaktionen zu der Veranstaltung
Von allen Gemeinderatsfraktionen waren an diesem Abend Vertreter vor Ort. Bei diesen kam die Veranstaltung unterschiedlich an.
Klaus Mayer (Freie Wähler) fand die Veranstaltung äußerst informativ und sah in den Sichtweisen der beiden Experten keine unvereinbaren Gegensätze. “Im Gegenteil, ich denke, dass sich für die Bewirtschaftung bzw. das Ökosystemmanagement unseres Stadtwaldes durchaus Perspektiven ermöglichen, die Refugien mit klassischer Nutzung kombinieren und zugleich den Wald zukunftsfest für den Klimawandel machen.”
Etwas enttäuscht zeigte sich Stadtrat Thomas Hornung (CDU). Enssle habe den Forst nicht genügend kritisiert, weil er den Wald nicht kenne. OB Becker vertraue dem Forst, weil sie und viele im Gemeinderat keine Ahnung von Waldbewirtschaftung hätten. Bauhus sei sehr wissenschaftlich und stellenweise schwer zu verstehen gewesen. “Dass der Wald stark geschädigt ist, wusste ich auch schon vorher.” Er bleibe bei seiner Forderung, den Wald mehr der Natur zu überlassen.
Die Grünen fanden die Veranstaltung sehr gelungen. “Als Fazit haben wir festgehalten, dass alle Beteiligten sich klar für einen Umschwung in Richtung Ökosystemmanagement und deutlich weg von der bisherigen Waldbewirtschaftung geäußert haben”, so Susanne Suhr. “Diesen Wandel werten wir als Ergebnis unseres Einsatzes und des Einsatzes der Bürgerinnen und Bürger für den Wald in den letzten Jahren.” Ihre Fraktion plädiere dafür, die Klimaneutralität spätestens 2035 zu erreichen.
“Für Interessierte, die sich bereits genauer mit der Waldproblematik auseinandergesetzt haben, gab es keine grundlegend neuen Erkenntnisse”, urteilte Wolfgang Sickinger (SPD). Für ihn sei es wichtig, breitere Kreise der Bevölkerung für dieses Thema zu sensibilisieren. Das sei mit der Auftaktveranstaltung gelungen.
Marius Biebsch (Junge Liste) freute sich über neue Erkenntnisse. Dass Wälder laut den Experten bewirtschaftet werden müssten, sei ihm neu gewesen. Er habe gedacht, man müsse den Wald am besten völlig in Ruhe lassen. Inhaltlich fand er die Veranstaltung ausgewogen. Zudem habe er mit deutlich weniger Teilnehmern gerechnet.
“Obwohl wir die einzige örtliche Waldbürgerinitiative sind, hatte uns die Stadt nicht in die Planung eingebunden”, bedauerte Jochen Heger, Sprecher der Bürgerinitiative “Lachwald erhalten”, die sich mittlerweile für den Erhalt aller Stutenseer Wälder einsetzt. Zu den Gründen wollte sich die Stadtverwaltung auf Anfrage nicht äußern. Im Vorfeld kritisierte Heger, dass bei der Podiumsdiskussion durch die Teilnahme von Forstamtsleiter Moosmayer neben den beiden Experten die bisher angewandte klassische Forstmeinung überproportional vertreten sei.
Wie geht es jetzt weiter?
Im Sommer solle die Entwicklung eines Leitbildes zum künftigen Umgang mit dem Stutenseer Stadtwald beginnen, so Oberbürgermeisterin Becker. Das Thema Wald werde zudem auch eine Rolle im zu erstellenden Stadtentwicklungsplan spielen, woran die Bevölkerung beteiligt werden soll.
forum Kommentare
Stelle man diese Frage an 4 Fachleute – bekommt man vier unterschiedliche Meinungen. Das ist bei Corona so, das ist bei russischen Gaslieferungen so. Und beim Stadtrat und dem Forstamt ist es auch nicht anders. Die Zukunft des Waldes??? Wie sieht sie aus??? Um die meisten Waldflächen auf dieser Welt, brauchte sich noch nie jemand Gedanken um deren Zukunft zu machen. Die Bäume dort wachsen, sterben auch mal biologisch bedingt ab, erwachsen wieder neu aus den Alten, andere Arten kommen dazu, von Vögeln und anderen Lebewesen (diesmal ohne Amazon) dahin kostenlos transportiert. Wittern sie eine Chance und sind sie stark genug sich gegen die dortigen Urwüchsigen durchzusetzen, dann werden auch sie eine gute Heimat finden. Die brauchen niemand der sich um sie kümmert, und schon gar keine Fachleute. Wir brauchen immer fachliche Steuerungen, Schätzungen über Gewinn und Verlust und alle möglichen Diversitäten am Besten auf 30 Jahre im Voraus. Und dann kommt mal wieder so ein kleiner LOTHAR, oder ein größerer Bruder, oder zwei Große und ein Kleiner, und schon sind die ganzen vorausberechneten Gewinne ad acta gelegt, und werden bei den Verlusten aufaddiert. Lasst doch den Wald mal etwas in Ruhe, der braucht diese REHA-Massnahmen nicht. Er wächst und stirbt, und wächst daraus wieder. Die ehemals kultivierten Wälder haben es vielen Fachleuten gezeigt, was am Ende wieder daraus wird. Wald im Ursprungszustand. Der Wald lässt sich von niemand aufhalten, nicht von Stihl oder Husqvarna, nicht von saurem Regen und der Gegenmaßnahme von tonnenweise abgeworfenem Kalk, genauso wenig wie von Fachleuten und auch nicht von anderen Leuten. Der Mensch verlässt irgendwann diese Welt, der Wald nicht. Es wird immer Wald geben auf dieser Welt. Er holt sich schnell das zurück was man ihm einmal genommen hat, unaufhörlich und gegen jeglichen fachmännischen Rat. Und dann wird er sich auch die Zeit nehmen, dieses in der Luft, damals um 2030 von Fachleuten nicht mehr zu bändigende Kohlendioxid, endlich ungezwungen und ungestört, in den zu seinem Wachstum benötigten notwendigen Zucker, und als sogenanntes Abfallprodukt edelsten reinen Sauerstoff, an seine Umgebung abzugeben. Und wenn dann das Mondlicht über den Hügeln ausgeschlafen hat, wird morgens um sieben die Welt und ihr Wald wieder in Ordnung sein. Das hat James Last schon vor über 50 Jahren erkannt.
So nebenbei stelle ich mir neben dem Wald, auch noch die Frage: Und wie sieht eigentlich die Zukunft von Stutensee aus, wenn man die wichtigsten Aufgaben der Zukunft weiterhin im slow motion – Tempo angeht.
2. Quartal 2022 habe ich mal gelesen, kommt der Regionalverband wieder mit seinem BIG FUTURE-Plan – Landschaftsschutz und Naherholungsgebiete vor dringend notwendiger Landwirtschaftsversorgung- daher. Von der einmal , kurz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochenen starken Abwehrhaltung “so geht das aber nicht” der Stadt, habe ich allerdings bisher nichts mehr gehört, oder gelesen und auch nichts verspürt. Vielleicht kommt nun doch noch irgendwann die späte Erkenntnis aus den Abhängigkeitswirren dieser Zeit, auch wieder vieles zu lernen. Z.B. Dass Bürger bestimmte Dinge dann wieder selbst landwirtschaftlich erzeugen und in die Hand nehmen müssen, wenn sie in Zukunft nicht darauf verzichten wollen. Wie diese Engpässe der allgemeinen Versorgung dann wirklich aussehen werden, und zu welchem Preis, sind nach 60 Tagen von Auseinandersetzungen noch nicht in Gänze abzuschätzen. Und mit knurrendem Magen macht auch eine Erholungsexkursion in ungenutzten Landschaftschutzgebieten keinen sonderlichen Spaß. Jetzt müssen wir alle zusammen daran arbeiten, dass wir unsere Lebensgrundlagen in etwa erhalten können. Wir werden nicht nur auf EINIGES, sondern auf VIELES in Zukunft verzichten oder Abstriche machen müssen, sollten uns aber auch einmal vergegenwärtigen, ob man auch wirklich alles unbedingt haben muss. Ich wünsche allen Stutenseern ein frohes Osterfest und allen Menschen endlich Frieden auf dieser Welt.