Sie hatten ihr ganzes Leben noch vor sich

Wilfried Süß betrachtet alte Aufnahmen

Beitragsbild: Olaf Matthei-Socha

Von Isabelle Gotschlich und Olaf Matthei-Socha | 20.01.2020 18:00 | Keine Kommentare

Ausstellung erinnert in Staffort an die Toten der Kriege

Am 2. Februar jährt sich zum 75. Mal der verheerende Bombenangriff auf Staffort. Im heutigen Stutenseer Stadtteil kamen 18 Menschen ums Leben. Die am 19. Februar eröffnete Ausstellung „Nie wieder Krieg – Erinnern, Verstehen, Versöhnen“ nähert sich dem Geschehen von der menschlichen Seite, stellt es in den größeren Kontext vom Krieg an sich und seinen Folgen für die Einzelnen. meinstutensee.de hat mit Wilfried Süß, Dr. Manfred Raupp und Erich Strobel über die Ausstellung und ihre Hintergründe gesprochen.

„Das war ein traumatisierendes Erlebnis“, erinnert sich Manfred Raupp sichtlich bewegt an die Bombardierung von Staffort. Der Agrarwissenschaftler im Ruhestand und Heimatforscher erlebte den britischen Angriff als dreieinhalbjähriger Junge in seinem Heimatort. Wie oft bei Luftangriffen egal von welcher Seite seien nicht militärisch wichtige Standorte getroffen worden, sondern viele Zivilisten sowie deren Wohn- und Lebensraum. „Um die 60 Prozent von Staffort wurde von zwei Luftminen und 16 Sprengbomben zerstört, es gab kein Gebäude ohne Schäden und 18 Menschen kamen ums Leben, darunter auch Elise Nagel mit ihren sechs Kindern“, erzählt Raupp weiter.

Die Macher der Ausstellung (vlnr): Erich Strobel, Dr. Manfred Raupp, Wilfried Süß

„Nachdem 1940 die erste Bombe fiel, wurden alle Keller auf ihre Eignung als Luftschutzkeller überprüft. Seitdem war der Krieg für die Stafforter allgegenwärtig bis 1945, als die Alliierten einmarschierten und der Wiederaufbau des Dorfes begann“, erklärt Wilfried Süß. Der Heimatforscher sammelt seit den 1980er Jahren Zeitdokumente und Informationen über die Stafforter Familien. Die in der Ausstellung gezeigten Fotos, Feldpostbriefe und Dokumente stammen größtenteils aus seiner Sammlung, wurden um einige Leihgaben ergänzt.

Ihm und seinen beiden Kollegen gehe es darum, einerseits die Gefallenen zu würdigen und aus der Namenslosigkeit herauszuholen. Dies dürfe man aber nicht tun, ohne auch die Auswirkungen der Kriege auf die Dorf- und Gesellschaftsstrukturen aufzuzeigen: „Einer Zahl von 650 Einwohnern stehen 80 Männer im besten Alter gegenüber, die bis Kriegsende verstorben sind. Auch viele Brüderpaare. Familien standen ohne Nachfolge da“, so Süß. Viele Gefallene seien zudem erst um die 25 Jahre alt gewesen, die Jugend mit ihren Träumen und Wünschen somit ausgelöscht worden. Für die drei Ausstellungsmacher eine äußerst bedrückende Tatsache.

Wilfried Süß zeigt historische Aufnahmen aus Staffort

Der Jahrestag der Bombardierung ist für sie der konkrete Anlass, den größeren Zusammenhang darzustellen: Die Geschichte der Kriegsfolgen für das kleine Hardtdorf im Allgemeinen. Die sind erstmals im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges belegt und finden ihren für uns erinnerbaren Höhepunkt im 20. Jahrhundert. „Um den kompletten Bogen zu spannen, war es uns auch wichtig, die unmittelbaren bis in die Nachkriegszeit reichenden Auswirkungen mitaufzunehmen, also die Zuwanderung der Vertriebenen und Veränderung der Dorfgemeinschaft“, erklärt Erich Strobel, der für die Mehrzahl der Texte der Ausstellung verantwortlich zeichnet. Auch auf die Besatzung des beim Angriff abgeschossenen britisch-kanadischen Kampfflugzeugs wird eingegangen. Alle sieben Insassen kamen beim Absturz ums Leben, ihre Leichen wurden in den 1950er Jahren exhumiert und umgebettet. In einer Vitrine sind neben anderen Zeitzeugnissen auch Teile des britischen Flugzeugs zu sehen.

Reste des bei Staffort abgestürzten britischen Flugzeugs

Aufgeklärt wird zudem über die Demütigung der Franzosen 1871, als das Deutsche Reich im Palast von Versailles gegründet wird, über die anfängliche Kriegsbegeisterung im August 1914 und die verheerenden Folgen des Ersten Weltkrieges. Über die Unterstützung der Landbevölkerung für die NSDAP, die mit ihrer Blut-und-Boden-Politik besonders das Bauerntum im Blick hatte. Es wird berichtet über die Gleichschaltung nach 1933, die Verfolgung Andersdenkender und die Euthanasie im Dritten Reich, der auch ein Stafforter Kind sowie eine weitere Person zum Opfer fiel, sowie über die Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern in Staffort. Zu ihnen gehörte auch die junge polnische Frau, die während des Bombenangriffs ums Leben kam.

Der Titel der Ausstellung sei ganz bewusst gewählt. „Natürlich ist ,Nie wieder Krieg‘ schnell dahergesagt. Deshalb haben wir am Ende der Ausstellung nach dem Titel auch ganz absichtlich ein Fragezeichen gesetzt“, führt der pensionierte Oberstudienrat Strobel weiter aus. So sei das Anliegen der Ausstellung klar, dürfe man sich nicht auf dem heutigen Frieden in Deutschland ausruhen. Denn die Liste der Kriege im Zeitraum seit 1945 bis heute ist lang, wie das zur Ausstellung gehörende Banner des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge mit dem Titel „Kriege nach 1945“ beweist. „Die Aufzeichnungen werfen Fragen auf wie ,Warum bleiben wir passiv bei den gegenwärtigen Geschehnissen? Wir sind aus dem gleichen Holz, wer hat uns gegeneinander getrieben?‘ Daher möchten wir der Jugend zeigen: So grausam ist Krieg, schaut, dass so etwas nicht mehr passiert“, erklären die Heimatforscher Strobel, Raupp und Süß.

„Heute leben wir in einem vereinten Europa, das spiegelt sich auch im Fest der Nationen wider, an dem sich im vergangenen Jahr Menschen aus 18 Nationen in der Stafforter Dreschhalle beteiligten. Unsere Vorfahren hätten sich das nicht träumen lassen, dass wir mal mit Franzosen friedlich zusammensitzen und feiern würden“, bestätigt Erich Strobel die Erfolge der Integration. Die wird in der Ausstellung am Beispiel der katholischen Vertriebenen erzählt, die nach 1945 in Staffort angesiedelt wurden. Die Ausstellungsmacher sind sich einig, dass man der Integration offen gegenüberstehen solle, denn das würde vieles lösen.

So appellieren sie abschließend: „Engagiert euch für ein gemeinsames Leben! Ein gemeinsames Leben in Frieden, ohne Krieg!“ Diesen Aufruf richten sie vor allem an junge Menschen, die keine Erinnerung mehr an das Kriegsgeschehen haben. Gerne dürfe man sie für Gespräche und Führungen durch die Ausstellung kontaktieren. Zudem können sie sich vorstellen, die Ausstellung andernorts zu zeigen, denn auch wenn der Fokus der Ausstellung auf Staffort liegt, habe sie eine hohe Allgemeingültigkeit und betreffe jeden von uns.

Ausstellungsmaterial

Info: Die Ausstellung „Nie wieder Krieg?“ ist noch bis zum 9. Februar in der Kirche St. Wolfgang in Staffort zu sehen. Sie ist zu folgenden Öffnungszeiten sowie nach vorheriger Anmeldung auf Anfrage geöffnet:

Sonntags 26. Januar 11-13 Uhr; 2. Februar 11-13 Uhr; 9. Februar 11-17 Uhr

Mittwochs 22. Januar 14-17 Uhr; 29. Januar 14-17 Uhr; 5. Februar 14-17 Uhr

Der Eintritt ist kostenfrei. Begleitend zur Ausstellung gibt es einen kleinen Bild- und Textband, der gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro bei den Ausstellungsmachern erhältlich ist.

Der Angriff vom 2. Februar 1945 traf zahlreiche weitere Orte zwischen Karlsruhe und Bruchsal. Am 2. Februar wird es eine Gedenkveranstaltung dazu geben. Ausstellung und Gedenken sind Teil einer Veranstaltungsreihe, die in diesem Jahr aus Anlass des 75. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges stattfindet.

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