Seit 2015 sind Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg laut Gemeindeordnung verpflichtet, Jugendliche bei den Themen zu beteiligen, die sie betreffen. Auch Kinder sollen miteinbezogen werden, allerdings nicht verpflichtend. Stutensee hat 2018 das erste Jugendforum durchgeführt, um die gesetzlichen Anforderungen umzusetzen. meinstutensee.de hat mit Angelika Barth von der Landeszentrale für politische Bildung sowie mit zwei bisher beteiligten Stutenseer Jugendlichen gesprochen. Entspricht das Stutenseer Jugendforum der Idee des Gesetzgebers? Fühlen sich die Jugendlichen ernstgenommen und beteiligt?
meinstutensee.de hat sich mit zwei Jugendlichen getroffen, die bereits von Beginn an den Jugendforen aktiv teilgenommen haben. Sie habe es gestört, dass Jugendliche bei Entscheidungen überhaupt nicht berücksichtigt worden seien, erklären sie ihre Motivation. Auch wenn mit gesundem Menschenverstand schon am Anfang klar gewesen sei, dass der gewünschte Skate-Park nicht direkt umgesetzt werden würde, sei unklar, wie wichtig die Meinung der Jugendlichen für die Stadtverwaltung sei, so die Jugendlichen, die nicht namentlich genannt werden wollen.
Doch zuerst ein Blick in die Gemeindeordung Paragraph 41a Absatz 1: “Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Dafür sind von der Gemeinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Insbesondere kann die Gemeinde einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten. Die Mitglieder der Jugendvertretung sind ehrenamtlich tätig.”
Diese Formulierung ist ziemlich schwammig, das gibt auch Angelika Barth von der Landeszentrale für politische Bildung zu. Welche Themen sind das denn, die die Interessen der Jugendlichen berühren? Spätestens wenn sie älter werden, hätten doch alle Entscheidungen, die heute getroffen werden, Auswirkungen auf die Jugendlichen. Auch wie die Form der Beteiligung aussehen könnte, werde in der Gemeindeordnung nicht weiter ausgeführt.
Jugendbeteiligung – Welche Form ist geeignet?
Für welche Form hat sich Stutensee entschieden? “Die Stadt Stutensee hat mit Novellierung der Gemeindeordnung im Rahmen einer Auftaktveranstaltung sowie einer Umfrage im Vorfeld alle interessierten Kinder und Jugendlichen darüber entscheiden lassen, wie sie sich eine Beteiligung im Sinne der Gemeindeordnung in Stutensee vorstellen”, so Lukas Lang, Pressesprecher der Stadtverwaltung. “Die Entscheidung fiel dabei für das Modell von regelmäßigen sowie anlassbezogenen Jugendforen, der Gemeinderat unterstützte diesen Wunsch.” Die beiden von meinstutensee.de befragten Jugendlichen konnten nichts dazu sagen, wie diese Entscheidung vor etwa vier Jahren zustandegekommen war. Sie selbst seien nicht beteiligt gewesen, sagen sie.
“Die Begriffe sind nicht fest definiert”, stellt Barth klar. “Unter dem Wort ‘Jugendforum’ kann jeder etwas anderes verstehen.” Allerdings sei die Form auch nicht das Wichtigste. Mit jeder Form könne es eine gute Jugendbeteiligung geben, wenn es zugelassen werde. Barths Erfahrung: “Die Beteiligung steht und fällt mit der Haltung der Kommunen. Was sie zulassen, bestimmt die Qualität.”
Ein Jugendgemeinderat, wie ihn manche Kommunen haben, sieht Barth dabei nicht als “ultimative” Lösung. Vielmehr stecke hier mit Vorbereitung und Durchführung der Wahlen sehr viel Arbeit drin. Kandidat:innen, die nicht gewählt werden, würden verprellt werden. Und letztlich habe auch ein Jugendgemeinderat keine Entscheidungsgewalt. Die liege immer beim Gemeinderat der Erwachsenen.
Für eine gute Form hält Barth eine Jugendkonferenz. Jugendliche könnten frei und ohne Wahl teilnehmen, könnten Rede- und Antragsrecht im Gemeinderat und ein eigenes Budget bekommen. Möglich sei auch ein Mix der Formen und eine dauerhafte Entwicklung.
Verantwortungsübertragung oder Alibiveranstaltung?
Häufig seien Jugendbeteiligungen nur Alibiveranstaltungen, um der Gemeindeordnung nachzukommen, stellt Angelika Barth fest. Denn letztlich müsste Verantwortung an die Jugendlichen übergeben werden. Das sei mühsam und koste Zeit: “Jugendbeteiligung fängt da an, wo es Erwachsenen weh tut.”
Ob in Stutensee die Bereitschaft zu Veränderung da ist, wird von den beiden befragten Jugendlichen unterschiedlich bewertet. “Das einzige, das die Jugendlichen bislang entscheiden konnten, war der Name des neuen Wohnparks Mittendrin”, so der eine. Alles andere wie das literarische Menü sei normale Jugendarbeit gewesen. “Dass die Stadt die Einfühung der neuen JuBe-App bezahlt hat, zeigt schon eine gewisse Bereitschaft”, so der andere. “Wir standen zwar nie vor verschlossenen Türen, aber mit offenen Armen wurden wir auch nicht empfangen.”
Bei den Jugendforen waren immer Vertreter:innen der Gemeinderatsfraktionen anwesend. Und umgekehrt? “Während den Veranstaltungen ist von den Gemeinderäten viel versprochen worden, dass die Themen auch im Gemeinderat behandelt werden, aber am Ende ist nicht viel dabei rumgekommen”, bedauern die beiden Jugendlichen aus Stutensee. “Die Gemeindeordnung sieht in keinem Modell explizit ein Rede-, Antrags- oder Anhörungsrecht im Gemeinderat vor”, entgegnet Lukas Lang von der Pressestelle der Stadtverwaltung.
Wünschen würden sich die Jugendlichen ein regelmäßiges Treffen mit der Stadtverwaltung oder zumindest schnelle Kommunikationswege, damit die Antwort auf eine Anfrage nicht mehrere Wochen brauche. Generell würden sie mehr Initiative vonseiten der Stadtverwaltung erwarten, dass diese auch mal bei den Jugendlichen nachfrage, wie der Stand bei bestimmten Themen sei. Auch ein Umzug der aktiven Jugendlichen vom GrauBau in das Alte Rathaus in Blankenloch sei wünschenswert. Die Jugendbeteiligung habe mehr mit dem Rathaus zu tun als mit der Jugendarbeit des GrauBaus, finden die Jugendlichen. Außerdem sollten die Leiter der Arbeitsgruppen regelmäßigen Kontakt zu Gemeinderatsfraktionen und Verwaltung haben.
Einbeziehung der Jugendliche in aktuelle Themen
Worum geht es in der Gemeindeordnung eigentlich? “Der Paragraph meint eigentlich die Mitsprache bei Themen, die ohnehin im Gemeinderat auf der Tagesordnung sind”, so Barth. Die Stadt müsse sich bemühen, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Jugendsozialarbeiter:innen müssten die Gemeinderatsthemen mit ihnen als Übersetzer in ihrer Sprache vorab diskutieren – und im Nachgang erklären, warum Ideen abgelehnt wurden oder die Umsetzung viel Zeit brauchte. Auch Erfolgserlebnisse müssten geschaffen werden, um die Jugendlichen bei der Stange zu halten, beispielsweise durch eine Fahrt zum Landtag oder zur EU nach Brüssel.
Das Jugendforum in Stutensee bietet diese Einbeziehung der Jugendlichen nicht. In den Sitzungvorlagen für den Gemeinderat ist zwar vorgesehen, die Beteiligung der Jugend laut Gemeindeordnung anzukreuzen (siehe Abbildung). Ob das aber schon einmal vorgekommen ist und welcher Prozess dann abläuft, darauf ging die Stadtverwaltung auf Anfrage nicht ein.
“Am Ende geht es nicht darum, den Buchstaben des Gesetzes zu folgen, sondern um demokratische Bildung”, fasst Barth das Ziel zusammen. “Jugendliche sollen sich mit der Demokratie identifizieren, erleben, dass sie sich einmischen und etwas bewirken können.”
Jugendbeteiligung ungleich Bürgerbeteiligung?
Barth beobachtet auch das Phänomen, dass Städte und Gemeinden aufwändige Bürgerbeteiligungsprozesse schaffen würden, jedoch völlig getrennt von der Jugendbeteiligung. “Das sind meist unabhängige Universen”, so Barth verwundert, wo Jugendliche doch auch Bürger:innen seien.
Auch Stutensee hat einen Bürgerbeteiligungsprozess gestartet. Ob die Jugendlichen darin integriert werden sollen, ließ die Stadtverwaltung offen: “Die Stadt Stutensee arbeitet fortwährend daran, die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in allen wesentlichen kommunalen Themen zu fördern und auszubauen.” Auch organisatorisch zeigt sich eine Trennung: Während die Jugendbeteiligung in Dezernat III unter Bürgermeister Edgar Geißler angesiedelt ist, liegt die allgemeine Bürgerbeteiligung in einer Stabstelle von Dezernat I unter Oberbürgermeisterin Petra Becker.
Das nächste Jugendforum im Rathaus solle nach Aussage der Jugendlichen im November stattfinden. Bis dahin seien die Arbeitskreise, die sich nach dem letzten Jugendforum gebildet haben, aktiv und konzentrierten sich jeweils auf ein Thema. Häufigere Jugendforen als einmal im Jahr würden keinen Sinn ergeben, so die Einschätzung der Jugendlichen, weil die Stadt die Themen gar nicht so schnell bearbeiten könne.
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