“Reden Sie miteinander” – Diskussion über bezahlbares Wohnen

Chris Kühn, MdB, Bündnis 90/Die Grünen

Beitragsbild: Martin Strohal

Von Martin Strohal | 28.07.2017 21:45 | 2 Kommentare

Lars Zinow (Grüne Stutensee) und Chris Kühn (MdB)

“Wohnen immer teurer”

Am Donnerstag, den 20. Juli, hatten die Stutenseer Grünen zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema “Bezahlbares Wohnen” geladen. Etwa 50 Besucher folgten den Ausführungen von Chris Kühn im Blankenlocher Sängerheim. Der Tübinger Bundestagsabgeordnete ist Fraktionssprecher für Bauen und Wohnen. In seinem Vortrag ging Kühn darauf ein, dass Wohnen immer teurer wird und Probleme bis weit in die Mittelschicht hinein verursache. Letztlich werde das den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden.

Als Ursache der hohen Preise identifizierte Kühn den Trend, in oder an der Stadt zu wohnen, die hohe Auslastung der Baufirmen sowie Immobilienspekulationen. Dazu kämen immer höhere Anforderungen an Brandschutz und Energieeffizienz, wobei letztere zu geringeren laufenden Kosten führen würden.

“Sozialer Wohnungsbau vernachlässigt”

Insbesondere bedauerte Kühn, dass der soziale Wohnungsbau in den letzten Jahrzehnten von der Politik sehr vernachlässigt worden sei, insbesondere auch in Baden-Württemberg, wo sich 16 der 30 teuersten Städte Deutschlands befinden. Der Grüne plädierte für ein soziales Mietrecht und auch wieder Gemeinnützigkeit für Wohnungsbau, z.B. über Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften. Immerhin gebe es in Baden-Württemberg ein 180 Mio EUR schweres Förderprogramm – und zwar in Form von Zuschüssen und nicht wie früher in Form von zinsgünstigen Darlehen. Generell sei Wohnen Daseinsvorsorge und damit auch staatliche Aufgabe, die man nicht komplett dem freien Markt überlassen dürfe. Auch das Land gebe verbilligtes Land für sozialen Wohnungsbau ab. Trotz Innenverdichtung müssten auch neue Gebiete erschlossen werden, auch wenn das den Grünen weh tue. “Nicht jede Fläche hat hohe Naturschutzqualität.” Es gelte aber “innen vor außen”.

Haushalt in Schieflage?

Die Zuhörer folgten den Ausführungen aufmerksam und suchten gedanklich vermutlich desöfteren die Parallelen zu Stutensee, wo das bezahlbare Wohnen insbesondere auf einem Teil der Fläche das Lachwaldes derzeit Streitpunkt ist. So kam im Anschluss des Vortrags auch eine Sprecherin der Bürgerinitiative zu Wort, die den Lachwald erhalten möchte. Sie betonte, dass die Bürgerinitiative den sozialen Wohnungsbau nicht verhindern wolle, sie wolle aber auch den Lachwald erhalten. Die vorgesehene Planungswerkstatt (wir berichteten) sehe sie positiv. Für den Lachwald käme das allerdings zu spät. Dafür stellte sie die Haushaltspolitik der Stadt in Frage: “Wieso ist der Haushalt so in Schieflage, dass Geld gebraucht wird?”

Bei dieser Frage meldete sich der anwesende Kämmerer der Stadt Stutense, Andreas Hambrecht, zu Wort und stellte klar: “Der Stutenseer Haushalt befindet sich nicht in einer Schieflage.” Vielmehr gebe es derzeit einen Schuldenstand von 12,3 Mio EUR (4,6 Mio davon aufgrund des notwendigen Baus der Flüchtlingsunterkünfte, die sich aber über Mieten und Nutzungsgebühren zurückzahlen), bei gleichzeitiger Rücklage von 12,3 Mio EUR. “Eine Schieflage bekommen wir erst, wenn wir 2018 bis 2020 keine Grundstückserlöse haben.” Diese Erlöse von 8,5 Mio EUR seien in der mittelfristigen Haushaltsplanung für Investitionen vorgesehen.

Kommunen können sich fast nur über Grundstücksverkäufe finanzieren

“Ist eine solche Haushaltsplanung, die auf unsicheren Einnahmen basiert, nicht unseriös?” wurde aus dem Publikum gefragt. Hambrecht verneinte dies. Es handele sich schließlich nur um die mittelfristige Finanzplanung, nicht um die des laufenden Jahres. Als durch Bürgerinitiative und geplantem Bürgerbegehren erkennbar wurde, dass die Einnahmen in Frage stehen, habe die Stadt umgehend sämtliche Investitionen auf Eis gelegt, die von den 8,5 Mio EUR hätten finanziert werden sollen.

Der ebenfalls anwesende ehemalige Stutenseer Baubürgermeister Matthias Ehrlein sprang Hambrecht bei: “Wir brauchen in Blankenloch dringend einen neuen Kindergarten mit vier bis sechs Gruppen. Das kostet pro Gruppe mindestens 500.000 EUR.” Dieser Bau wird vom Land allenfalls bezuschusst. Den Großteil muss jedoch die Kommune bezahlen.

Es gebe leider das Problem, dass sich Kommunen derzeit nur über Grundstücksverkäufe finanzieren könnten, so Hambrecht. Das sei überall so und missfalle ihm sehr, ebenso wie das Wirtschaftssystem, das immer nur auf Wachstum setzt. Für dieses Problem müsse die Politik eine Lösung finden. Das bestätigte Kühn. Das Land müsse sich mehr um die Finanzierung der Kommunen kümmern, beispielsweise über eine kommunale Wirtschaftssteuer oder einen höheren Anteil an der Mehrwertsteuer.

“Nehmen Sie Druck raus!”

Da die städtischen Grundstücke aber irgendwann alle verkauft seien und die späteren Generationen dann keinen Handlungsspielraum mehr hätten, empfahl Kühn, über Erbpacht nachzudenken. Zudem habe die Stadt nicht nur auf eigenen Flächen, sondern in allen Baugebieten die Möglichkeit, soziales Wohnen umzusetzen. “Das Planungs- und Baurecht ist das Königsrecht der Kommunen”, so Kühn. Über städtebauliche Verträge ließe sich einiges machen. An dieser Stelle erwähnte Ehrlein, dass das Gelände des alten Hallenbads mit 30 % sozialem Wohnungsbau umgesetzt werden soll (wir berichteten), aber es müsse in jedem Wohngebiet eine Balance hergestellt werden. Problem sei trotzdem das fehlende Bauland.

Kühn hatte sich an dem Tag sowohl mit der Stadtverwaltung als auch mit der Bürgerinitiative getroffen. Für das Thema Lachwald empfahl er, den Druck rauszunehmen. “Wieso muss das so schnell sein? Reden Sie wieder miteinander!”

forum Kommentare

Daher weht der Wind also, warum allenthalben Flächen umgewandelt werden.

Die Stadt braucht Geld — trotz angeblich gesunder Finanzlage wird das Tafelsilber für Einmalerlöse verscherbelt.

Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass für den laufenden Betrieb zu viel Geld ausgegeben wird? Dann sollte man doch eher dort ansetzen und sich überlegen, wie und wo man das Geld sparen könnte, bevor man über Maßnahmen wie die obige nachdenkt.

Denn eins ist klar: Ist das Tafelsilber erst verscherbelt, bleiben als weitere Maßnahmen nur die Erhöhung von Gewerbe- und Grundsteuer — oder tiefe Griffe in die Trickkisten wie eine als Neuerschließung verklausulierte Straßensanierung, um die Kosten direkt an die Anwohner umzulegen.

Die Zukunft sieht wohl nicht rosig aus.

3 Bürgermeister wollen ja auch irgendwie bezahlt werden:
https://www.meinstutensee.de/2017/07/geissler-zum-buergermeister-gewaehlt/